Der EuGH hat entschieden, dass allein die Einordnung als „öffentliches Dokument“ nicht zwingend zur Nicht-Anwendbarkeit des Vergaberechts führt. (Urteil vom 07.09.2023, C-601/21)
Nach der Richtlinie 2014/14 ist ausnahmsweise die Anwendbarkeit des Vergaberechts entbehrlich, wenn die Sicherheitsinteressen des Mitgliedsstaates berührt sind und diese nicht durch weniger einschneidende Mittel gewahrt werden können.
In dem Verfahren wandte sich die Europäische Kommission gegen die Republik Polen, weil diese die Firma PWPS mit der Herstellung öffentlicher Dokumente, Vordrucke und Zeichen direkt beauftragt hat. Grundsätzlich unterfällt dieser Auftrag nach Richtlinie 2014/14 dem Vergaberecht. Die Republik Polen sah hier jedoch den Ausnahmetatbestand der Sicherheitsrelevanz als erfüllt an und verzichtete auf die Durchführung eines Vergabeverfahrens. Dies hat der EuGH in Teilen anders gesehen und entschieden, dass nicht jedes öffentliche Dokument zwingend sicherheitsrelevant ist.
Zwar sieht die Richtlinie im Falle der Beeinträchtigung von Sicherheitsinteressen eine Ausnahme von der Anwendbarkeit der Vergabevorschriften vor. Allerdings reicht es nicht, sich pauschal darauf zu berufen. Da es sich um eine Ausnahme handelt, sind die Maßstäbe an deren Begründung eng auszulegen. Der Auftraggeber muss nachweisen, dass seine Sicherheitsinteressen nur durch eine direkte Beauftragung gewahrt werden konnten, weil u.a. eine Offenlegung von Informationen im Rahmen des Vergabeverfahrens die Sicherheitsinteressen beeinträchtigt hätte.
Dies ist der Republik Polen in Teilen nicht gelungen. Denn dem öffentlichen Auftraggeber hätten hier weniger einschneidende Maßnahmen zur Verfügung gestanden. Er ist durch nichts daran gehindert, besonders hohe Anforderungen an die Eignung und Vertrauenswürdigkeit der Auftragnehmer festzuschreiben oder die Vertraulichkeit von Daten durch eine Geheimhaltungspflicht sicherzustellen.
Ausgehend davon hat der EuGH entschieden, dass die Sicherheitsrelevanz für die Herstellung einer Vielzahl öffentlicher Dokumente, aber auch für die Aufträge betreffend die Herstellung von Steuerzeichen, Legalisierungszeichen, Kontrollaufklebern, Stimmzetteln, holografischen Zeichen auf Wahlscheinen sowie Mikroprozessorsystemen mit Software für die Verwaltung öffentlicher Dokumente, IT-Systemen und Datenbanken, die für die Nutzung öffentlicher Dokumente nicht gegeben ist.
Allein, dass es „öffentliche Dokumente“ sind, reicht also nicht aus. Es ist erforderlich, dass die Dokumente einen unmittelbaren und engen Zusammenhang mit dem Ziel des Schutzes der nationalen Sicherheit aufweisen, bei denen weniger einschneidende Maßnahmen zum Schutz der Sicherheitsinteressen gerade nicht ausreichen. Dies ist bei Dokumenten mit Bezug auf Bedienstete, deren Aufgaben unmittelbar und eng mit Aufgaben verbunden sind, die zur Wahrung der nationalen Sicherheit eines Mitgliedstaats beitragen, regelmäßig der Fall.