Das Bundesarbeitsgericht stellt klar: Überstunden müssen vom Arbeitnehmer nachgewiesen werden (BAG, Urt. v. 04.05.2022 – 5 AZR 359/21)

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An dem Grundsatz, dass Überstunden vom Arbeitnehmer nachgewiesen werden müssen, hat sich auch durch die aufsehenerregende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus Mai 2019 nichts geändert. In dieser Entscheidung urteilte der EuGH, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet seien, ein objektives, verlässliches und für die Arbeitnehmer zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung zu etablieren, sog. Stechuhr-Urteil (EuGH, Urt. v. 14.05.2019 – C-55/18). Eine bloße Dokumentation von Überstunden, wie sie derzeit im deutschen Recht geregelt ist, würde der europäischen Arbeitszeitrichtlinie nicht gerecht.

Umstritten war, ob und ggf. wie sich das Stechuhr-Urteil des EuGH auch auf die Darlegungs- und Beweislast in Überstundenvergütungsprozessen auswirkt. Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sorgt hier nun für eine Klarstellung (BAG, Urt. v. 04.05.2022 – 5 AZR 359/21).

Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer war als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Die Arbeitszeit des Fahrers wurde technisch erfasst, wobei nur Anfang und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergaben die Aufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Arbeitnehmers, wofür dieser Überstundenvergütung verlangte. Dabei berief er sich darauf, dass er die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet habe. Es sei nicht möglich gewesen, Pausen zu nehmen, da ansonsten die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Dies wurde vom Arbeitgeber bestritten.

Entscheidung des Arbeitsgerichts Emden

Das Arbeitsgericht (ArbG) Emden gab dem Auslieferungsfahrer in erster Instanz zunächst Recht (ArbG Emden, Urt. v. 09.11.2020 – 2 Ca 399/18). Dies begründete es damit, dass sich aus dem Stechuhr-Urteil des EuGH eine unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers zur Messung, Aufzeichnung und Kontrolle der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer ergebe. Komme der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nach, gleiche dies einer Beweisvereitelung und führe zu einer Beweislastumkehr im Überstundenvergütungsprozess zugunsten des Arbeitnehmers. Es obliege damit dem Arbeitgeber, zu beweisen, dass die von dem Arbeitnehmer vorgetragenen Überstunden nicht erbracht wurden. Könne er das nicht beweiskräftig widerlegen, so sei der Anfall der Überstunden als solcher und zugleich die wissentliche Duldung erwiesen. Dieser Nachweis sei dem Arbeitgeber im vorliegenden Fall nicht gelungen, weshalb das ArbG Emden dem Auslieferungsfahrer die geltend gemachte Überstundenvergütung zusprach.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen

Das überzeugte das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen in zweiter Instanz nicht (Urt. v. 06.05.2021 – 5 Sa 1292/20), so dass dieses die Entscheidung des ArbG Emden aufhob. Das Stechuhr-Urteil des EuGH habe keine Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Die Vorgaben aus der europäischen Arbeitszeitrichtlinie dienten dem Gesundheitsschutz und fänden deshalb grundsätzlich keine Anwendung auf die Überstundenvergütung von Arbeitnehmern.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 04.05.2022 – 5 AZR 359/21)

Das BAG bestätigt nun die Entscheidung des LAG Niedersachen und wies die Revision des Auslieferungsfahrers zurück. Dabei betont das BAG erneut die folgenden Grundsätze:

Möchte ein Arbeitnehmer Vergütung für geleistete Überstunden, so muss er

  1. darlegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat
  2. darlegen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat
Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG schafft Klarheit für Arbeitgeber, die sich mit Vergütungsforderungen von Arbeitnehmern für etwaig geleistete Überstunden konfrontiert sehen. Dennoch sollten Arbeitgeber sich bewusst sein, dass eine Pflicht zur objektiven und zuverlässigen Arbeitszeiterfassung auf sie zukommen wird. Zwar hat der deutsche Gesetzgeber diesbezüglich die Vorgaben des EuGH bisher nicht umgesetzt. Dies ist jedoch in absehbarer Zeit zu erwarten. Hierüber halten wir Sie selbstverständlich wie gewohnt informiert.

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