Resturlaub war lange Zeit ein Thema, das frühestens mit Anbruch des letzten Quartals auf die Tagesordnung kam. Vor mittlerweile etwas über zweieinhalb Jahren änderte das Bundesarbeitsgericht im Anschluss an entsprechende Entscheidungen des Gerichtshofs seine Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen. Seitdem befassen sich Arbeitgeber am besten regelmäßig gleich zu Jahresbeginn mit den Tagen, die am Ende übrigbleiben könnten. Die Entdeckung der sogenannten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers führte dazu, dass der Verfall des zum Jahresende noch offenen Resturlaubs nicht mehr allein den in § 7 Abs. 3 BUrlG niedergeschriebenen Voraussetzungen unterliegt. Vielmehr müssen Arbeitgeber nunmehr aktiv bei der Urlaubsgewährung mitwirken.
Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit
Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer „konkret und in völliger Transparenz“ in die Lage versetzen, seinen Jahresurlaub in Anspruch zu nehmen. Das BAG hat diese Vorgabe in drei Bestandteile gefasst: 1. Information über die konkrete Anzahl der Urlaubstage für den jeweiligen Urlaubszeitraum; 2. Aufforderung, den Urlaub rechtzeitig zu beantragen; 3. Belehrung über die Folgen nicht rechtzeitiger Inanspruchnahme. Die Einhaltung einer bestimmten Form ist zwar nicht erforderlich, jedoch empfehlen wir zu Beweis- und Dokumentationszwecken die Belehrung in Textform vorzunehmen.
Für jeden Anspruch genügt die einmalige Aufklärung. Regelmäßige Aktualisierungen oder auch eine Erinnerung an verbleibende Resturlaubstage im letzten Quartal ist nach der Rechtsprechung des BAG ausdrücklich nicht erforderlich.
Etwas anderes gilt nur, wenn sich der Arbeitgeber im Anschluss widersprüchlich verhält, indem er den Arbeitnehmer anderweitig daran hindert, seinen Urlaub zu nehmen. Als Beispiel hierfür nennt das BAG die Ablehnung eines Urlaubsantrags aus anderen als den gesetzlich genannten Gründen. In diesem Fall lebt die Obliegenheit des Arbeitgebers wieder auf und muss die Aufklärung wiederholt werden.
Erfolgt die Mitteilung zu Beginn eines Urlaubsjahres, ergeben sich zumindest im Hinblick auf den dann gerade erst entstandenen Urlaubsanspruch keine Schwierigkeiten. Komplexer wird es allerdings, wenn auch Ansprüche aus dem Vorjahr aufgenommen werden müssen, weil der Arbeitgeber seine Mitwirkungshandlung für das vergangene Jahr nachholt oder übertragener Urlaub zu berücksichtigen ist. Sofern die gesetzlichen Fristen nicht durch vertragliche Regelungen angepasst wurden, muss über den Verfall des neuen Jahresurlaubs mit Ablauf des 31.12. sowie des übertragenen Urlaubs aus dem Vorjahr mit Ablauf des 31.03. aufgeklärt werden, und zwar jeweils unter Angabe der Anzahl betroffener Urlaubstage. Spätestens an dieser Stelle wird offenbar, weshalb Hinweise in Merkblättern oder Rundschreiben die Anforderungen des BAG nicht erfüllen können.
Tariflicher und vertraglicher Urlaubsanspruch
Die Mitwirkungsobliegenheiten beziehen sich nur auf den gesetzlichen Urlaub, also den Mindesturlaub aus § 3 BUrlG sowie den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte aus § 208 Abs. 1 SGB IX. Ob dennoch auch über den tariflichen oder vertraglichen Mehrurlaub entsprechend aufzuklären ist, muss im Einzelfall geprüft werden.
Grundsätzlich sind die Tarif- bzw. Vertragsparteien frei, die Voraussetzungen für den Verfall zusätzlich gewährter Urlaubsansprüche abweichend vom gesetzlichen Mindesturlaub zu regeln. Da die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers allerdings erst im Jahr 2019 von der Rechtsprechung entdeckt wurden, sind ausdrücklich hierauf bezogene Regelungen vor diesem Zeitraum nicht zu erwarten. Einen Vertrauensschutz für Altfälle gibt es hier nicht. Daher verlangt das BAG „deutliche Anhaltspunkte“ für einen vom Gesetz abweichenden Regelungswillen. Andernfalls geht es von einem Gleichlauf mit dem gesetzlichen Urlaubsanspruch aus.
Ein lediglich abweichendes Fristenregime, wie etwa in § 26 TVöD, genügt in diesem Zusammenhang nicht. Demgegenüber hat das BAG die generelle Verlagerung der Initiativlast auf den Arbeitnehmer am Beispiel von § 12 Manteltarifvertrag der chemischen Industrie für ausreichend erachtet. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 04.05.2021 – 5 Sa 264/20) hat außerdem entschieden, dass die in einem Tarifvertrag vorgesehene Wahlmöglichkeit des Arbeitnehmers, Mehrurlaub vor Ablauf der Verfallfrist auf ein Langzeitkonto zu übertragen, gegen eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers spricht.
Ausblick
Noch ist nicht für sämtliche Konstellationen geklärt, welche Folgen die unterbliebene Mitwirkung des Arbeitgebers hat. So befasst sich der Gerichtshof derzeit mit mehreren Fragen des Bundesarbeitsgerichts. Zum einen ist noch offen, ob das Ansammeln nicht verfallender Urlaubsansprüche zumindest durch die regelmäßige Verjährungsfrist beschränkt wird (wir hatten berichtet). Zwei weitere Vorlagebeschlüsse (9 AZR 245/19 (A) und 9 AZR 401/19 (A)) befassen sich mit der Frage, ob trotz Missachtung der Mitwirkungsobliegenheit in Fällen von Langzeiterkrankung oder voller Erwerbsminderung der Verfall des Urlaubs 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres eintreten kann.
Über den Ausgang der Vorabentscheidungsverfahren sowie deren Umsetzung in der Rechtsprechung des BAG halten wir Sie informiert.