Vorsicht bei außerordentlichen Kündigungen – Unwirksamkeit der Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (Fassung 2002)

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Mit seinem Urteil vom 19.01.2023 (Az.: VII ZR 34/20) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (Fassung 2002) unwirksam ist, weil sie den Auftragnehmer (AN) unangemessen benachteiligt. Der Auftraggeber (AG) kann eine außerordentliche Kündigung demnach nicht auf diese Regelungen stützen, wenn die VOB/B vom ihm in den Vertrag eingebracht worden ist.

Da die VOB/B-Regelungen der Fassung von 2002 inhaltlich den derzeit geltenden § 4 Abs. 7 Satz 3, § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2016) entsprechen, ist die Entscheidung auch auf aktuelle Fälle anzuwenden.

Sachverhalt

Der AG beauftragte unter Einbeziehung der VOB/B (2002) den AN als Nachunternehmer mit Werkleistungen. Der BGH unterstellte, dass die VOB/B vom AG in den Vertrag eingeführt und somit von diesem verwendet wurde. Weitere „Zusätzliche Vertragsbedingungen“ enthielten von der VOB/B abweichende Regelungen.

Während der Bauausführung rügte der AG Mängel an der vom AN erbrachten Werkleistung und verlangte unter Fristsetzung Mangelbeseitigung. Ferner drohte er für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs die außerordentliche Kündigung des Auftrages sowie die Mangelbeseitigung auf Kosten des AN an. Die Mängel wurden vom AN nicht beseitigt. Nach Fristablauf kündigte der AG den Bauvertrag hinsichtlich aller bis dahin noch nicht erbrachten Leistungen.

Der AN begehrte mit seiner anschließenden Klage Restwerklohn. Er war der Meinung es habe sich um eine sog. freie Kündigung und nicht um eine außerordentliche Kündigung gehandelt, da die betreffende Kündigungsregelung der VOB/B unwirksam sei. Der AG verlangte im Wege der Widerklage u.a. die Kosten der Ersatzvornahme. Er war der Auffassung, die Kündigung sei außerordentlich nach den nicht zu beanstandenden Regelungen der § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) wirksam erfolgt. Der AG schulde daher zum einen Vergütung nur für vom AN erbrachte Leistungen und zum anderen sei er berechtigt gewesen, den noch nicht erbrachten Teil der Leistungen zu Lasten des AN (durch einen Dritten) ausführen zu lassen.

Der BGH entschied die bislang umstrittene Frage bzgl. der Wirksamkeit der vorgenannten Kündigungsregelung der VOB/B zu Lasten des AG. Der AG könne seine Kündigung nicht auf diese Regelungen stützen.

Gründe

Da die VOB/B, bei der es sich um AGB handelt, nicht als Ganzes – also unverändert – in den Vertrag einbezogen wurde, unterliegen ihre Regelungen der AGB-rechtlichen Wirksamkeits- und Inhaltskontrolle. Auf das Gewicht der Abweichung von den Regelungen der VOB/B komme es nach dem BGH hierbei nicht an. Der Inhaltskontrolle hält die Kündigungsregelung der § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B nach Auffassung des BGH nicht stand. Nach den Ausführungen des BGH ist diese Kündigungsregelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung zu einer Kündigung eines Werkvertrages aus wichtigem Grund nicht zu vereinbaren. Die gesetzlichen Regelungen zu einer außerordentlichen Kündigung eines Werk-/Bauvertrages durch den AG setzen nämlich voraus, dass der AN durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum AG derart erschüttert hat, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dies erfordert aber neben der bloßen vertragswidrigen/mangelhaften Leistung noch das Hinzutreten weiterer Umstände, die zu einer tiefgreifenden Störung führen. Erst eine solche tiefgreifende Störung, etwa aus der Ursache, Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, führt zur Unzumutbarkeit und rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung.

Die Kündigungsregelung der § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B hingegen differenziert weder nach Ursache, Art, Umfang, Schwere, Interesse an der Beseitigung bzw. Beendigung noch nach den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels. Losgelöst von diesen Kriterien wäre eine außerordentliche Kündigung des AG ohne tiefgreifende Störung selbst bei völlig unwesentlichen Vertragswidrigkeiten/Mängeln möglich. Das ist mit den sich gegenüberstehenden Interessenlagen der Vertragsparteien nicht zu vereinbaren und benachteiligt den AN unangemessen. Die Nachteile wurden im entschiedenen Fall weder durch andere Vorteile kompensiert noch seien diese durch besondere Umstände bezogen auf die Durchführung und Abwicklung von Bauleistungen gerechtfertigt. Die Kündigungsregelung ist deshalb unwirksam.

Die Frage, ob der AG ggfs. außerhalb des Anwendungsbereiches dieser VOB/B-Regelungen ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund hatte, war vom BGH im gegenständlichen Fall nicht zu entscheiden.

Fazit

Die Entscheidung ist für den AG sowie den AN gleichermaßen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung.

Der BGH hat der (bislang angenommenen) Kündigungsmöglichkeit bei Mängeln während der Leistungserbringung gem. § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B eine Absage erteilt. Eine unwirksam erklärte außerordentliche Kündigung des Vertrages durch den AG ist dann im Zweifel als sog. freie Kündigung auszulegen. Das führt zu der gravierenden Rechtsfolge, dass dem AN der volle Vergütungsanspruch zusteht (auch für die nicht mehr erbrachten Leistungen), wobei er sich dasjenige anrechnen lassen muss, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Kosten erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft und seines Betriebes erwirbt. Der AG hat ggfs. eine unberechtigte Ersatzvornahme durchgeführt und damit keinen Anspruch auf Erstattung der ihm dafür entstandenen Kosten.

Empfehlung

Bei der Erklärung einer außerordentlichen Kündigung ist also Vorsicht walten und rechtlich prüfen zu lassen, ob tatsächlich so erhebliche Umstände vorliegen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

Die Auswirkungen des Urteils sind aber auch schon bei der Vertragsgestaltung zu beachten und Klauseln, die die vom BGH geforderte tiefgreifende Störung hinreichend transparent aufgreifen, sorgsam zu formulieren.

Sehr gerne stehen wir Ihnen beratend zur Seite.

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