Neben den Änderungen im Nachweisgesetz (NachwG), über die wir bereits hier berichtet hatten, hat der nationale Gesetzgeber die EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen auch an anderer Stelle umgesetzt. Eine bislang wenig beachtete Neuerung betrifft die Arbeit auf Abruf, die in § 12 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) geregelt ist.
Begriff der Abrufarbeit
Arbeit auf Abruf liegt immer dann vor, wenn nicht lediglich die Verteilung der Arbeitszeit, sondern auch ihr Umfang von der Konkretisierung des Arbeitgebers durch Abruf der Arbeitsleistung abhängt. Im Gegensatz zu einer Gleitzeitvereinbarung kann hier der Arbeitgeber entscheiden, wie viel Arbeit er zu welchem Zeitpunkt in Anspruch nehmen will. Zudem variiert, anders als bei Modellen mit Arbeitszeitkonten, mit schwankendem Abruf der Arbeit auch die Höhe der Vergütung.
Bisherige Regelungen
Bereits nach früherer Rechtslage waren Arbeitgeber nicht völlig frei in der Flexibilisierung der Arbeitszeit. Sah der Arbeitsvertrag keine Vereinbarungen zum Umfang der Arbeitszeit vor, so wurde eine vergütungspflichtige Mindesteinsatzzeit von zunächst zehn und später 20 Stunden pro Woche gesetzlich fingiert. Zudem wurde die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach sich die Abweichungen von der vereinbarten Regelarbeitszeit in einem definierten Rahmen zu bewegen hatten, bereits seit 2019 gesetzlich verankert. Konstellationen, in denen ein Arbeitnehmer je nach betrieblichem Bedarf überhaupt nicht oder auch in Vollzeit herangezogen werden konnte und demzufolge über zeitliche Beanspruchung und Vergütung völlig im Ungewissen blieb, waren daher auch bislang nicht zulässig.
Neuerungen
Seit dem 01.08.2022 besteht gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 TzBfG die zusätzliche Verpflichtung, den „Zeitrahmen, bestimmt durch Referenzstunden und Referenztage“ festzulegen, innerhalb dessen der Abruf erfolgen kann. Auf diese Weise soll den Arbeitnehmern nach der Vorstellung des Gesetzgebers zusätzliche Planungssicherheit gegeben werden. Bereits zuvor waren Arbeitnehmer vor kurzfristigen Einsätzen insoweit geschützt, dass der einseitige Abruf nur mit einer Vorlauffrist von vier Tagen erfolgen konnte. Andernfalls stand es dem Arbeitnehmer frei, dem Abruf zu folgen oder nicht zur Arbeit zu erscheinen.
Nunmehr ist der Abruf für den Arbeitnehmer gemäß § 12 Abs. 3 S. 2 TzBfG nur unter der zusätzlichen Voraussetzung verbindlich, dass die abgerufene Arbeitsleistung innerhalb des zuvor festgelegten Zeitrahmens erfolgen soll. Gilt beispielsweise ein Zeitrahmen von 09:00 Uhr bis 18:00 Uhr an den Tagen Montag bis Freitag, so sind Einsätze bereits um 08:00 Uhr oder an Wochenenden nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers möglich.
Folgen fehlender Zeitrahmen
Besondere Brisanz entfaltet die Regelung in den Fällen, in denen überhaupt kein Zeitrahmen festgelegt ist. Hiervon dürfte die überwiegende Mehrzahl der bestehenden Abruf-Arbeitsverhältnisse betroffen sein. Eine Regelung für Altverträge hat der Gesetzgeber nämlich nicht vorgesehen. In diesem Fall ist die Erfüllung der Abrufbedingungen denklogisch ausgeschlossen. Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift kommt nicht in Betracht, da andernfalls die Verpflichtung zur Bestimmung eines Zeitrahmens und somit die gesetzgeberische Intention völlig leerliefe.
Die konsequente Anwendung der Vorschrift führt dann dazu, dass der Arbeitgeber überhaupt keine Arbeitsleistung einseitig abrufen kann. Er muss also jeden Arbeitseinsatz einvernehmlich mit dem Arbeitnehmer festlegen. Bei strenger Betrachtung liegt dann überhaupt kein Arbeitsverhältnis mehr vor, da die einseitige Bestimmung der Lage der Arbeitszeit ein Wesensmerkmal des Arbeitsvertrags in Abgrenzung zu freien Dienstverhältnissen darstellt.
Daran anschließend stellt sich die Frage, ob die nicht geleistete Arbeitszeit dennoch zu vergüten ist. Schließlich obliegt es dem Arbeitgeber, die vertraglich vereinbarte Mindestarbeitszeit – bzw. bei fehlender Vereinbarung die gesetzlich fingierte 20-stündige Wochenarbeitszeit – ordnungsgemäß abzurufen. Soweit eine Unterschreitung darauf beruhte, dass der Arbeitnehmer einem unter Missachtung der viertägigen Ankündigungsfrist mitgeteilten Abruf nicht folgte, so war die ausgefallene Arbeitszeit dennoch zu vergüten. Überträgt man diese Rechtsfolge auf den Fall einer fehlenden Zeitrahmenvereinbarung, so wäre die gesamte Mindesteinsatzzeit ohne jedwede Gegenleistung zu vergüten.
Handlungsoptionen
Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes besteht Handlungsbedarf, will man das Funktionieren des Arbeitsverhältnisses sicherstellen. Es sollten also in jedem Fall die gesetzlich geforderten Bestimmungen zu sogenannten Referenztagen und Referenzstunden getroffen werden.
Grundsätzlich ist hier auch die pauschale Festlegung des Zeitrahmens „00:00 Uhr bis 24:00 Uhr an den Tagen Montag bis Sonntag einschließlich der Feiertage“ möglich. Wir empfehlen dies allerdings nur in den Fällen, in denen tatsächlich keine sinnvollen Einschränkungen der möglichen Arbeitszeit vorgenommen werden können, weil rund um die Uhr Arbeit anfallen könnte oder ohnehin im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb gearbeitet wird. Schließlich ist die einseitige Bestimmung eines Zeitrahmens im Zusammenhang mit dem Arbeitsabruf Bestandteil des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts und unterliegt auch ohne ausdrückliche gesetzliche Erwähnung der allgemeinen Billigkeitskontrolle. Eine weit über die betriebsüblichen Arbeitszeiten hinausgehende Rahmenzeit dürfte nicht mehr billigem Ermessen entsprechen.
Sollte der zunächst festgelegte Zeitrahmen sich als zu eng erweisen, so kann die Festlegung auch entsprechend neu getroffen werden. Eine Mindestdauer, während derer die Festlegungen Bestand haben müssen, ist gesetzlich nicht geregelt. Somit könnte die Neufestlegung auch zusammen mit dem Abruf, also vier Tage vor dem Arbeitseinsatz, erfolgen. Spätestens hier stellt sich die Frage, welchen Mehrwert die Gesetzesänderung aus Arbeitnehmersicht bietet.
Zu beachten ist schließlich, dass die Festlegung dem Arbeitnehmer in Schriftform ausgehändigt werden muss, da auch der Zeitrahmen gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 lit. c) NachwG nachweispflichtig ist.