„Mehr Fortschritt“? Der Koalitionsvertrag aus unternehmensrechtlicher Perspektive

wooden figurines in the colors of German political parties, Green Party, FDP and SPD as government coalition and other parties as opposition

(Teil 2: Gründerförderung und Digitalisierung des Gesellschaftsrechts)

Im Anschluss an den ersten Teil des Beitrags zur Vorstellung des Anfang Dezember 2021 unterzeichneten Koalitionsvertrags von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP werden nachfolgend weitere für das Unternehmensrecht relevante Regelungsvorhaben vorgestellt.

Vor allem die geplanten Vorhaben zur

  • Verbesserung der Gründerforderung und
  • verschiedene Regelungen zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts

gilt es zu beachten.

1.         Verbesserung der Gründerförderung

Die sog. Ampel-Koalition hat sich vorgenommen, Deutschland zu einem führenden Start-Up-Standort in Europa auszubauen. Auf der Agenda stehen verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten für junge Unternehmen. Geplant ist beispielsweise ein besserer Zugang für Start-Ups zu Wagniskapital und öffentlichen Aufträgen sowie die Mobilisierung des privaten Kapitals institutioneller Anleger. Außerdem soll die staatliche Förderbank KfW als Innovations- und Investitionsagentur sowie als Co-Wagniskapitalgeber in bestimmten Zukunftsbranchen, wie etwa der KI oder der Quantentechnologie, wirken.

Der Koalitionsvertrag hält außerdem fest, dass Unternehmer bei der Firmengründung zukünftig besser unterstützt werden sollen. Hierfür plant die Ampel-Koalition die flächendeckende Errichtung von sog. „One Stop Shops“, die als Anlaufstelle für die Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung dienen sollen. Zusätzlich ist beabsichtigt, Unternehmensgründungen zu vereinfachen und diese zukünftig innerhalb von 24 Stunden zu ermöglichen.

2.         Wachstumsunternehmen und KMUs: Einführung von „Dual Class Shares“

Neben Start-Ups sollen auch Wachstumsunternehmen und KMUs von verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten profitieren. Insbesondere sollen für diese Unternehmen Börsengänge und Kapitalerhöhungen erleichtert werden. Besonders hervorzuheben ist hierbei die beabsichtigte Einführung von sog. „Dual Class Shares“, also Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten. Nach geltendem Recht ist eine Ausgabe von Aktien deren Stimmrechte von der Kapitalbeteiligung des Gesellschafters abweichen nur begrenzt möglich. Mit der geplanten Neuregelung soll es Unternehmen in Zukunft möglich sein, Eigenkapital einzusammeln, ohne hierbei gleichzeitig in die bestehenden Stimmrechtverhältnisse einzugreifen. Solche Konzepte sind häufig bei Tech-Unternehmen aus den USA anzutreffen; sie sind aber nicht unumstritten.

3.         Ausweitung von Online-Beurkundungen

Die in der vergangenen Legislaturperiode beschlossenen Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) sehen bereits jetzt die Möglichkeit zur Online-Gründung von GmbHs ab dem 01.08.2022 vor. Dem beurkundenden Notar wird es dann möglich sein, eine Niederschrift elektronisch zu erstellen (§ 16b BeurkG n.F.) sowie die Feststellung der Beteiligten mittels elektronisch übermittelter Lichtbilder und der Verwendung von bestimmten elektronischen Identitätsnachweisen vorzunehmen (§ 16c BeurkG n.F.). Allerdings ist die notarielle Beurkundung von Gesellschaftsverträgen mittels Videokommunikation bisher nur für Bargründungen vorgesehen. Diese Beschränkung möchte die Ampel-Koalition aufheben, sodass künftig auch GmbH-Gründungen mit Sacheinlagen online erfolgen können.

Zusätzlich soll die notarielle Beurkundung per Videokommunikation für „weitere Beschlüsse“ zugelassen werden. Dies dürfte für die Praxis besonders interessant werden, da sich die bevorstehenden Möglichkeiten zur digitalen Beurkundung ausschließlich auf Gesellschafterbeschlüsse beschränken, die im Rahmen der Gründung der Gesellschaft gefasst werden. Eine Ausweitung auf weitere Beschlussgegenstände, wie etwa Satzungsänderungen oder Kapitalmaßnahmen, wäre durchaus zu begrüßen, da nur so das Potenzial von Online-Beurkundungen umfassend ausgeschöpft werden kann. Der Start-Up Szene ist damit allerdings nur bedingt geholfen, weil der Schwerpunkt der Beurkundungstätigkeit hier auf anderen Dokumenten liegt, namentlich Beteiligungsverträgen und Gesellschaftervereinbarungen.

4.         Generelle Zulässigkeit von Online-Hauptversammlungen

Weiterer Baustein der geplanten „Digitalisierung des Gesellschaftsrechts“ ist laut Koalitionsvertrag die dauerhafte Ermöglichung von Online-Hauptversammlungen. Einiges spricht dafür, dass die Ampel-Koalition beabsichtigt, die erlassenen Übergangsregelungen zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) dauerhaft in das Aktienrecht zu überführen. Nach dem Vorbild der Regelungen des COVMG – die nur noch bis zum 31.08.2022 gelten – wäre es Aktiengesellschaften dann möglich, Hauptversammlungen unabhängig von den Satzungsbestimmungen der jeweiligen Gesellschaft auch virtuell abzuhalten.

Hierbei wird insbesondere interessant sein, wie die Ausübung der jeweiligen Aktionärsrechte im Zusammenhang mit der Abhaltung von Online-Hauptversammlungen konkret ausgestaltet sein wird. Schon die Regelungen des COVMG waren verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, da sie mit starken Eingriffen in einzelne Aktionärsrechte einhergingen. Der Gesetzgeber steht daher vor der Aufgabe, die Interessen der Aktionäre auf umfassende Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte und die Interessen der Gesellschaften auf Abhaltung einer möglichst unkomplizierten – nicht mit Anfechtungsrisiken behafteten – Hauptversammlung angemessen in Einklang zu bringen.

5.         Einführung elektronischer Aktien

Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über elektronische Wertpapiere (eWpG) zum 10.06.2021 ist es möglich, Wertpapiere elektronisch zu begeben. Das bedeutet, dass die Emission von Wertpapieren nicht mehr zwingend deren Verkörperung in einer Urkunde voraussetzt. Der Koalitionsvertrag sieht vor, den Anwendungsbereich des eWpG, der bislang auf Inhaberschuldverschreibungen und Investmentanteilsscheine beschränkt ist, auf Aktien auszuweiten.

Fazit

Die beabsichtigte Verbesserung der Gründerförderung und der Finanzierung junger Unternehmen ist insgesamt zu begrüßen. Bezüglich der Umsetzung einiger Vorhaben wären jedoch an einigen Stellen des Koalitionsvertrags konkretere Aussagen wünschenswert gewesen. Positiv sind die Bemühungen zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts zu bewerten. Die umfassende Möglichkeit zur Online-Beurkundung von Gesellschafterbeschlüssen und die generelle Option zur Abhaltung von Online-Hauptversammlungen dürften in der Rechtspraxis Anklang finden. Die Zulassung elektronischer Aktien wurde schon vor Inkrafttreten des eWpG von zahlreichen Stimmen gefordert. Die geplante Ausweitung des gesetzlichen Anwendungsbereichs ist insoweit nicht sonderlich überraschend, der Digitalisierung des Finanzplatzes Deutschland aber in jedem Fall dienlich.

Dr. Timo Fietz

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