Keine wirksame außerordentliche Kündigung gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B, wenn das Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers eröffnet ist und der der Insolvenzverwalter erklärt, den Vertrag durchzuführen

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Das OLG Dresden hat mit Urteil vom 23.06.2023 (22 U 2617/22) zur Wirksamkeit einer Kündigung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Var. 3 VOB/B Stellung genommen.

Rechtliche Ausgangslage
§ 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B sieht außerordentliche Kündigungsgründe für den Fall der Insolvenz des Auftragnehmers vor. Danach kann der Auftraggeber den Vertrag kündigen, wenn (1) der Auftragnehmer seine Zahlungen einstellt, (2) von ihm oder zulässigerweise vom Auftraggeber oder einem anderen Gläubiger das Insolvenzverfahren bzw. ein vergleichbares gesetzliches Verfahren beantragt ist, (3) ein solches Verfahren eröffnet wird oder (4) dessen Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird. § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B regelt damit vier mögliche Kündigungsalternativen.

Über die Wirksamkeit dieser Kündigungsregelung besteht keinesfalls Einigkeit. Mit seiner Grundsatzentscheidung vom 07.04.2016 (VII ZR 56/15) hat der BGH im Hinblick auf § 8 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 VOB/B festgestellt, dass insolvenz- bzw. AGB-rechtliche Bedenken nicht bestehen. Durch den Eigeninsolvenzantrag bringe der Auftragnehmer aus Sicht des Auftraggebers zum Ausdruck, eine Gewähr für die ordnungsgemäße Vertragserfüllung nicht mehr geben zu können. Das für die Fortsetzung des Bauvertrags erforderliche Vertrauensverhältnis werde hierdurch – ungeachtet der Frage, ob der Auftragnehmer seine Arbeiten zu diesem Zeitpunkt bereits eingestellt hat oder weiterhin erbringt – nachhaltig gestört. Dem Auftraggeber sei insofern auch nicht zuzumuten, die Entschließung des Insolvenzverwalters über die Fortführung des Vertrages gem. § 103 InsO abzuwarten.

Die Insolvenzordnung räumt dem Verwalter die Möglichkeit ein, sich unverzüglich – also innerhalb angemessener Frist – für oder gegen eine Erfüllung geschlossener Verträge zu entscheiden. Entscheidet er sich für die Erfüllung eines Vertrages, ist der Vertrag wie vereinbart durchzuführen.

Der BGH hat zuletzt im Rahmen seines Urteils vom 27.10.2022 (IX ZR 213/21) grundsätzlich zur Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln ausgeführt. Solche seien dann unwirksam, wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und keine die wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen. Was dies für § 8 Abs. 2 Nr. 1 Var. 3 VOB/B bedeutet, hat der BGH jedoch nicht geklärt.

Nunmehr hatte indes das OLG Dresden die Frage der Wirksamkeit einer Kündigung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu entscheiden.

Sachverhalt:
In dem Fall, der dem OLG Dresden vorlag, hatte der Auftraggeber den Auftragnehmer unter Einbeziehung der VOB/B mit der Herstellung von Kränen und Zubehör beauftragt. Nachdem der Auftragnehmer Antrag Insolvenzantrag gestellt hatte und das Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Auftragnehmers eröffnet war, erklärte der Insolvenzverwalter auf Nachfrage des Auftraggebers, den Vertrag fortzuführen. Ungeachtet dessen kündigte der Auftraggeber den Werkvertrag außerordentlich. Der Insolvenzverwalter, der anschließend das Vermögen des Auftragnehmers verwaltete, forderte sodann vom Auftraggeber Vergütung u.a. für nicht erbrachte Leistungen, da es sei bei der ausgesprochenen Kündigung um eine sog. „frei Kündigung“ handele.

Entscheidung des OLG Dresden vom 23.06.2023:
Dem hat das OLG Dresden im Rahmen seiner Entscheidung zugestimmt. Wörtlich heißt es:

„Der Beklagte hat den Werkvertrag über den Bau der Kräne frei und ohne Rechtsgrund gekündigt, insbesondere nicht unter den Voraussetzungen eines ordentlichen Kündigungsrechts im Fall der Insolvenz des Insolvenzschuldners als Auftragnehmerin nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B.“

Begründet hat das OLG Dresden seine Entscheidung damit, dass der Insolvenzverwalter vorliegend der Fortführung des Vertrages zugestimmt hat und somit ein Kündigungsrecht ausgeschlossen sei:

„Allerdings ist ein solches gesondertes Kündigungsrecht wegen der (auch nur drohenden) Insolvenz des Auftragnehmers durch den Auftraggeber – hier der Beklagten – ausgeschlossen, da der Insolvenzverwalter der weiteren Durchführung des Vertrages auf Nachfrage der Beklagten zugestimmt hat (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 26. April 2019 – 11 U 46/11 -). Dies lehnt sich an § 103 InsO an), wo – nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – der Insolvenzverwalter die vollständige Erfüllung des gegenseitigen Vertrages wählen kann.“

Somit nimmt zwar auch das OLG Dresden nicht zur Wirksamkeit von § 8 Abs. 2 Nr. 1 Var. 3 VOB/B Stellung. Allerdings sieht das OLG den Auftraggeber in dem Fall, in dem der Insolvenzverwalter einer Fortführung des Vertrages zugestimmt hat, nicht als schutzwürdig an. Denn in diesem Fall besteht aus Sicht des Auftraggebers nicht die Gefahr, dass der Vertrag nicht mehr ordnungsgemäß erfüllt wird. Letztlich scheint in diesem Fall das Festhalten am Vertrag nach allgemeinen Grundsätzen also nicht unzumutbar.

Insofern handelte es sich bei der vom Auftraggeber ausgesprochenen Kündigung um eine sog. „freie Kündigung“ i.S.d. § 8 Abs. 1 VOB/B.

Rechtliche Folgen und Fazit:
Zu der Frage, welche konkreten rechtlichen Folgen aus der Entscheidung resultieren, nimmt das OLG Dresden nicht Stellung. Fest steht somit nur, dass eine Kündigung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Auftragnehmers und nach Zustimmung des Insolvenzverfahrens zur Durchführung des Vertrages unwirksam ist. Ob daraus folgt, dass auch eine Kündigung ohne entsprechende Zusage des Insolvenzverwalters unwirksam ist bzw. ob der Auftraggeber vor Ausspruch der Kündigung den Insolvenzverwalter auffordern muss zu erklären, ob dieser Vertragserfüllung wählt oder nicht, wird nicht geklärt. Vor dem Hintergrund des Urteils des BGH vom 07.04.2016 (VII ZR 56/15) wird man zumindest im Falle des Eigeninsolvenzantrages von einer Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ausgehen können. Letztlich muss jedoch vermutlich anhand jedes Einzelfalls geprüft werden, ob ein Festhalten am Vertrag für den Auftraggeber vor dem Hintergrund der gefährdeten Vertragsdurchführung unzumutbar ist, oder aber dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters gem. § 103 InsO Vorrang zu gewähren ist.

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