Keine präzise Markterkundung – keine Verhandlungen mit nur einem Unternehmen!

Law Settlement And Legal Arbitration In Courtroom. Judge Gavel

Das Oberlandesgericht (im Folgenden OLG) Hamburg bekräftigt mit seiner Entscheidung vom 06.04.2023 (1 Verg 1/23) die essenzielle Bedeutung des Wettbewerbsgrundsatzes und den Ausnahmecharakter eines Verhandlungsverfahrens mit nur einem Unternehmen.

Ein Auftraggeber ist nicht frei in seiner Entscheidung, direkt in Verhandlungen mit nur einem Unternehmen einzusteigen. Im Gegenteil. Er darf dies grundsätzlich nur, wenn ein Wettbewerb, der eingeschränkt werden könnte, nicht existiert. Aus diesem Grund ist er dazu verpflichtet, zuvor ein Markterkundungsverfahren durchzuführen. Denn auf andere Weise kann nicht ermittelt werden, ob es vernünftige Alternativen oder Ersatzlösungen gibt.

In seiner Entscheidung setzt sich das OLG Hamburg mit den Anforderungen an eine solche Markterkundung auseinander und stellt grundsätzlich klar, dass diese nur dann als tauglicher Nachweis fehlenden Wettbewerbs herangezogen werden kann, wenn ihr der konkrete Beschaffungsgegenstand zugrunde liegt. Wenn den Auftraggeber aber, wie in diesem Fall, eine allgemeine Abfrage nach „Vergabemanagementsystemen“ bei verschiedenen Unternehmen, vornimmt, obwohl er weiß, dass an das System konkrete Kompatibilitätsanforderungen zum bereits vorhandenen ERP-System bestehen, ist das unzureichend. Vor allem wenn der Auftraggeber daraus ableitet, dass diejenigen Unternehmen, die diese konkreten Kompatibilitätsanforderungen nicht antizipieren und überobligatorisch benannt haben, nicht in der Lage wären, diese anzubieten.

Weiterhin stellt das OLG Hamburg klar, dass es für die Entscheidung, ob auch andere Unternehmen die abgefragte Leistung erbringen können, nicht auf den Zeitpunkt der Marktanalyse ankommen kann. Auch muss ein Unternehmen nicht zum Zeitpunkt Auftragserteilung die Leistung unmittelbar verwirklichen können. Das Gericht führt hierzu aus, dass entsprechend des Wortlauts der Norm ein „erbringen“ des Auftrags nicht „auf der Stelle verwirklichen“, sondern vielmehr „herbeischaffen“ bedeutet:

„Und das zur aktuellen Erfüllung eines Auftrags erforderliche Material herbeischaffen kann auch ein Unternehmen, dass sich das Material innerhalb angemessen kurzer Zeit besorgen kann.“

Dies gilt selbst dann, wenn das Unternehmen die Leistung nur mittels ihm von Dritten zur Verfügung gestellter Produkte erbringen kann.

Solange ein Auftraggeber mithin nicht durch ein präzises Markterkundungsverfahren feststellen kann, dass es ausgeschlossen ist, dass zumindest ein weiteres Unternehmen in relativ kurzer Zeit die konkret zu beschaffende Leistung erbringen kann, darf auf einen Teilnahmewettbewerb nicht verzichtet werden.

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