Anmerkungen zum Urteil des Landgerichts Berlin vom 14.07.2021 (Az.: 101 O 148/19) und zum aktuellen Hinweisbeschluss des KG Berlin vom 12.08.2024 (Az.: 2 U 94/21)
Klauseln zum sog. Founder-Vesting werden regelmäßig in Shareholder’s Agreements vereinbart, um Gründer und ihr Know-how langfristig an ein Venture Capital-finanziertes Start-up zu binden. Üblich sind z.B. Klauseln, nach denen ein Gründer seine Beteiligung an dem Venture Capital-finanzierten Unternehmen (anteilig) nur behalten darf, wenn er sie sich über die vereinbarte Vesting-Periode erdient hat und nicht vorzeitig ausscheidet (sog. „umgekehrten Vesting-Klauseln“).
In der Praxis stoßen entsprechende Klauseln auf den gesellschaftsrechtlichen Grundsatz, dass der Entzug der Mitgliedschaft nur bei Vorliegen eines wichtigen, zumindest aber eines sachlichen Grundes und dann grundsätzlich auch nur gegen angemessene Abfindung zulässig ist.
Die gesellschaftsrechtliche Vereinbarkeit der umgekehrten Vesting- Klauseln sowie ihre rechtlichen Grenzen sind in Ermangelung einschlägiger Rechtsprechung weitestgehend ungeklärt. Allgemein anerkannt sind bisher lediglich die genannten Grundsätze über den Entzug von Mitgliedschaften. Demnach kann eine (gesellschafts-)vertragliche Regelungen über den Ausschluss eines Gesellschafters grundsätzlich nur dann wirksam sein, wenn der Ausschluss einen sachlichen Grund voraussetzt.
Nunmehr haben sich mit dem Landgericht Berlin und dem Kammergericht Berlin als Berufungsinstanz soweit ersichtlich erstmals zwei Gerichte mit der Frage auseinandergesetzt, ob und ggf. wann eine umgekehrte Vesting-Klausel wirksam ist.
In ihren Entscheidungen stellten die Gerichte fest, dass Klauseln, die den übrigen Gesellschaftern einer GmbH das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter auch ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen bei Venture Capital-finanzierten Start-ups durchaus gerechtfertigt und damit wirksam sein können. Im konkreten Fall rechtfertigten die Gerichte die Wirksamkeit einer derartigen Klausel damit, dass sie bei einem Start-up-Unternehmen dazu dienen soll, den Fortbestand der Gesellschafterstellung eines Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen.
Hintergrund
Kläger in den Verfahren vor den Berliner Gerichten war das Mitglied eines Gründerteams, der mit zwei weiteren Gründern an einer GmbH beteiligt war. Im Zuge einer Venture-Capital Finanzierung durch einen Finanzinvestor vereinbarten die Gesellschafter ein Shareholder’s Agreement, in welchem sie wechselseitig aufschiebend bedingte Kauf- und Abtretungsangebote für den Fall der Beendigung ihrer Tätigkeit abgaben. Hiermit sollte ein Anreiz für ein langfristiges Engagement geschaffen werden. Nach Eintritt der aufschiebenden Bedingung durch Freistellung und Kündigung des Klägers, nahmen die Mitgründer das Kauf- und Abtretungsangebot an. Der betroffene Gesellschafter hielt die Regelung nunmehr für nichtig, § 138 Abs. 1 BGB. Die Gerichte folgten dem nicht.
Anwendbarkeit der Grundsätze zur Hinauskündigungsklausel
Für die Beurteilung der Wirksamkeit der in Frage stehenden Vesting-Klausel wendeten die Gerichte in ihren Entscheidungen die Grundsätze zu der Wirksamkeit von Hinauskündigungsklauseln an. Bei Hinauskündigungsklauseln handelt es sich um gesellschaftsvertragliche Regelungen, welche die Ausschließung eines Gesellschafters in das freie Ermessen der Gesellschaftermehrheit oder eines Gesellschafters stellen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind entsprechende gesellschaftsvertragliche und entsprechend auch schuldrechtliche Klauseln grundsätzlich wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
Der dieser Argumentation zugrundeliegende Grundsatz, dass die Ausschließung eines Gesellschafters nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes möglich ist, gilt indes nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht ohne Ausnahme. Außergewöhnliche Umstände können eine gesellschaftsvertragliche oder eine vergleichbare schuldrechtliche Regelung zur Ausschließung ohne sachlichen Grund im Einzelfall rechtfertigen, wenn sie wegen besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist.
Klausel im vorliegenden Fall wirksam
Im vorliegenden Fall stellten die Gerichte fest, dass eine zeitlich limitierte umgekehrte Vesting-Regelung, die den Fortbestand der Gesellschafterstellung eines Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen verknüpft, im Start-up-Bereich regelmäßig wirksam ist. Zur Begründung verwiesen die Gerichte auf die Besonderheit, dass Gründer häufig auf Risikokapitalgeber angewiesen sind und sich Kapitalgeber ihrerseits darauf verlassen müssen, dass sich die Gründer mit ihrem Know-how weiterhin voll in das Unternehmen einbringen und es zum allseits erhofften Erfolg führen. In dieser typischerweise für das Unternehmen und seine Entwicklung entscheidenden Phase kann es daher – zeitlich befristet – sachlich gerechtfertigt sein, den Fortbestand der Gesellschafterstellung des Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen, um ihn an das Unternehmen zu binden und den Investoren Sicherheit zu bieten.
In diesem Zusammenhang stellten die Gerichte auch fest, dass die Angemessenheit der vereinbarten Abfindung auf das Vorliegen der sachlichen Rechtfertigung der Regelung keinen Einfluss hat.
Grenzen der Ausübung beachten
Neben der Frage, ob eine Klausel ihrem Inhalt nach wirksam ist (sog. „Inhaltskontrolle“), ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob durch die Ausübung der vereinbarte Rechte aufgrund der zum Prüfungszeitpunkt bestehenden Umstände die Grenze von Treu und Glauben überschritten ist (sog. „Ausübungskontrolle“). Im konkreten Fall hatte einer der Mitgründer die Freistellung des Klägers zunächst mit dessen MS-Diagnose begründet. Dadurch sahen die Gerichte die Grenze von Treu und Glauben jedoch nicht überschritten, weil der Kläger sowohl Freistellung als auch eine anschließende Kündigung akzeptierte und mit den Mitgründern nur noch über die Bedingungen seines Ausscheidens verhandelte.
Fazit
Die Ausführungen der Gerichte zeigen, dass die Frage nach der Wirksamkeit der in Beteiligungsverträgen geregelten Vesting-Regelungen für Investoren und Gründer gleichermaßen von großem Interesse ist und weitreichende Folgen haben kann. Bei Vertragsverhandlungen sollte daher auf entsprechende Regelungen besonderes Augenmerk gelegt werden.