Erweiterung der Abweichungsregelung in einigen Landesbauordnungen
Einige Bundesländer haben bereits die Regelungen über Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Vorgaben in ihren Landesbauordnungen erweitert, um insbesondere Wohnbauvorhaben im Bestand zu erleichtern. In Bayern wurde die Norm über die Erteilung von Abweichungen (Art. 63 Bayerische Bauordnung – BayBO) zum 1.8.2023 geändert.
Bislang war diese Regelung in den Bauordnungen der Länder eine sogenannte „Kann“-Vorschrift, d.h. die Erteilung einer Abweichung stand im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Nach der Neuregelung „soll“ die Bauaufsichtsbehörde nun eine Abweichung zulassen, wenn dies mit gesetzlichen Zwecksetzungen und den nachbarlichen und öffentlichen Belangen vereinbar ist. Das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde wird damit eingeschränkt – die Behörde soll eine Abweichung im Regelfall zulassen, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Anders formuliert: Liegen die Voraussetzungen für eine Abweichung vor, darf die Behörde diese jetzt nur noch in atypischen Fällen versagen.
Regelungsbereich – relevante Abweichungen
Die Abweichungsregelung betrifft die Abweichung von Anforderungen der Bayerischen Bauordnung und auf ihrer Grundlage erlassener Normen wie bspw. der „Stellplatzverordnung“ oder der Feuerungsverordnung.
Bauen im Bestand und erneuerbare Energien
Seit der Gesetzesänderung führt der bayerische Gesetzgeber in Art. 63 BayBO zudem vier Fallgruppen auf, bei denen Abweichungen „insbesondere“ erteilt werden sollen. Dies sind:
- Vorhaben, die der Weiternutzung bestehender Gebäude dienen (Nr. 1).
- Abweichungen vom Abstandsflächenrecht (Art. 6 BayBO) wenn ein rechtmäßig errichtetes Gebäude durch ein Gebäude höchstens gleicher Abmessung und Gestalt ersetzt wird (Nr. 2;
- Vorhaben zur Energieeinsparung und Nutzung erneuerbarer Energien (Nr. 3) und
- Vorhaben zur Erprobung neuer Bau- und Wohnformen (Nr. 4).
Diese vier Fallgruppen sind Regelbeispiele, d.h. sie sind lediglich beispielhaft und nicht abschließend (siehe auch die Vollzugshinweise des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr). Die Neuregelung soll es ermöglichen, insbesondere bei Bestandsvorhaben bautechnische Lösungen im Einzelfall zu entwickeln. Sie bereitet aber auch den Weg hin zu einem „Gebäudetyp E“.
Voraussetzungen für die Abweichung unverändert
Voraussetzung für die Erteilung einer Abweichung ist wie zuvor, dass die Abweichung mit den grundlegenden gesetzgeberischen Zielen und den öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belangen vereinbar ist. Hierzu gehören insbesondere die allgemeinen Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO: Sicherheitsstandards sollen gewahrt bleiben, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen dürfen nicht gefährdet werden.
Da die Ablehnung eines Antrags auf Abweichung auch in der Vergangenheit in der Regel damit begründet wurde, dass der Erteilung schutzwürdige Belange der Bauordnung entgegenstünden, bleibt abzuwarten, inwieweit die Gesetzesänderung in der Praxis zu spürbaren Erleichterungen und zu mehr Innovation und Flexibilität führt. Vieles wird sich hier anhand der gelebten Verwaltungspraxis in den Baubehörden entscheiden.