Ein Rückblick auf 25 Jahre / Digitalisierung des Gesellschaftsrechts

Wie die meisten Rechtsgebiete wird auch das Gesellschaftsrecht maßgeblich durch technologischen Fortschritt geprägt und beeinflusst. Besonders deutlich zeigt sich dies am Beispiel der Digitalisierung. Eingeleitet durch den Siegeszug des Internets Mitte der 1990er Jahre und den damit verbundenen Möglichkeiten zur elektronischen Kommunikation setzte im Gesellschaftsrecht eine regelrechte „Welle der Digitalisierung“ ein, die mit zahlreichen Gesetzesänderungen einherging.

Im Folgenden soll die Entwicklung der letzten 25 Jahren anhand von Beispielen veranschaulicht werden. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei jenen Entwicklungen, die unsere anwaltliche Beratungstätigkeit besonders geprägt haben.

1.         Von der Schriftform zur Textform

Mit der flächendeckenden Verbreitung des Internets und des E-Mail-Verkehrs stand um die Jahrtausendwende plötzlich ein durch die technische Entwicklung hervorgebrachtes Medium für die Übermittlung von Nachrichten und Erklärungen zur Verfügung. Der Gesetzgeber reagierte hierauf im Jahr 2001 mit dem „Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr“ und führte die sogenannte Textform (§ 126 b BGB) in das Bürgerliche Gesetzbuch ein. Bedeutend war diese Neuerung insoweit, als nun vielfach die Übermittlung einer E-Mail ausreichend war, um gesetzliche Formerfordernisse zu erfüllen. Vor allem im Bereich des Gesellschaftsrechts nahm der Gesetzgeber zahlreiche Anpassungen vor und ließ anstelle der Schriftform nun auch die Textform genügen. Damit konnten die maßgeblichen Erklärungen formgerecht auch ohne die für die Schriftform charakteristische eigenhändige Unterschrift abgegeben werden. Zeitgleich mit der Einführung der Textform wurde beispielsweise die Vorschrift zur Beschlussfassung bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung angepasst (§ 48 Abs. 2 GmbHG). Beschlüsse im Umlaufverfahren sollten nach dem Willen des Gesetzgebers auch dann per E-Mail gefasst werden können, wenn die Satzung der GmbH keine entsprechende Klausel enthielt. Zwar waren nach überwiegender Ansicht Beschlussfassungen per E-Mail auch schon vor der Gesetzesänderung rechtlich zulässig. Im Sinne der Rechtssicherheit war die Änderung des § 48 Abs. 2 GmbHG aber durchaus zu begrüßen. Gesetzesanpassungen erfolgten bei der GmbH außerdem für die Erteilung von Vollmachten zur Vertretung auf einer Gesellschafterversammlung. Durch die Anpassung von § 47 Abs. 3 GmbHG konnten entsprechende Vollmachten ab sofort in Textform erteilt werden und bedurften zu ihrer Gültigkeit nicht mehr der Schriftform.

2.         Elektronischer Bundesanzeiger und elektronisches Handelsregister

Ebenfalls im Jahr 2002 wurde der elektronische Bundesanzeiger eingeführt. Anfangs noch als Ergänzung des in gedruckter Form erscheinenden Bundesanzeigers ins Leben gerufen, entwickelte sich der elektronische Bundesanzeiger im Laufe der Zeit zur vorherrschenden Publikationsform. Im Jahr 2012 wurden schließlich beide Varianten des Bundesanzeigers zusammengefasst. Seither erfolgen Veröffentlichungen – wie etwa Einladungen für Hauptversammlungen einer Aktiengesellschaft – nahezu ausschließlich in elektronischer Form.

Das Handelsregister wird seit Anfang des Jahres 2008 flächendeckend elektronisch geführt. Die Digitalisierung des Handelsregisters betraf nicht nur die Form der Publizierung, sondern vielmehr das gesamte registerrechtliche Verfahren und damit auch die Anmeldung und Einreichung von Unterlagen. Die Möglichkeit, online auf das Handelsregister zugreifen zu können, war ein sehr wesentlicher Fortschritt für die Rechtspraxis und führte zu einem echten Beschleunigungseffekt. Schriftliche Anträge auf Erteilung von Registerauszügen, mehrtägiges Warten auf Dokumente und persönliche Akteneinsichten gehören seither der Vergangenheit an. Die Digitalisierung des Bundesanzeigers und des Handelsregisters führte aus Sicht des Rechtsverkehrs auch zu mehr Transparenz. So sind beispielsweise Jahresabschlüsse einer Gesellschaft, rechtliche Vertretungsverhältnisse oder Gesellschaftsverträge seither für jedermann öffentlich im Internet einsehbar. Die erhöhte Transparenz führte auf Ebene der Gesellschafter allerdings vielfach zu dem nachvollziehbaren Bestreben, sensible Vertragsdetails – soweit rechtlich zulässig – außerhalb des Gesellschaftsvertrags zu regeln.

3.         Virtuelle Hauptversammlungen

Bereits Anfang der 2000er Jahre starteten Initiativen, um das Medium Internet für die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen fruchtbar zu machen. Im Gegensatz zur gesetzlich vorgesehenen Präsenzversammlung sollte es Aktionären ermöglicht werden, ihre gesellschaftsrechtlichen Mitgliedschaftsrechte (Teilnahme-, Rede- und Stimmrecht) auf elektronischem Weg wahrzunehmen. Die rechtliche Grundlage für eine virtuelle Teilnahme an Hauptversammlungen wurde allerdings erst durch die EU-Aktionärsrechterichtlinie aus dem Jahr 2007 und deren Umsetzung im nationalen Recht gelegt. Entsprechende Änderungen des Aktiengesetzes ermöglichen seit dem Jahr 2009 die Aufnahme von Satzungsklauseln, die es Aktionären gestattet, sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation auszuüben (§ 118 Abs. 1 S. 2 AktG). Bei der gesetzlichen Neuregelung handelte es sich allerdings lediglich um Zusatzangebote für einzelne Aktionäre. Gesetzliches Leitbild war weiterhin die Präsenzversammlung unter physischer Teilnahme der Aktionäre, sodass Gesellschaften von den neuen rechtlichen Möglichkeiten eher zurückhaltend Gebrauch machten.

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 zwang den Gesetzgeber dann zu weiteren Maßnahmen. Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren machten Präsenzversammlungen zeitweise unmöglich. Der Gesetzgeber entschied sich daher für den Erlass der Übergangsregelungen zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) und ermächtigte Vorstand und Aufsichtsrat zur Einberufung und Abhaltung rein virtueller Hauptversammlungen. Im Gegensatz zu den schon vorher zulässigen „Hybridversammlungen“ fanden die vom COVMG vorgesehenen virtuellen Hauptversammlungen regen Anklang. Gleichwohl kann nicht verschwiegen werden, dass die Abhaltung von virtuellen Hauptversammlungen zeitweise mit einigen rechtlichen Unsicherheiten verbunden war. Die Übergangsregelungen des COVMG gestatteten anfangs erhebliche Eingriffe in einzelne Rechte der Aktionäre. Zum Beispiel wurde das Fragerecht der Aktionäre in das Ermessen des Vorstands gestellt. Mitunter wurden sogar Bedenken an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Gesetzes laut. Der Gesetzgeber reagierte auf diese Kritik und nahm einige gesetzliche Anpassungen am COVMG vor.

Insgesamt ist festzustellen, dass die aufgrund der COVID-19-Pandemie (zwangsweise) gewonnenen Erfahrungen vielfach zu dem Bestreben geführt haben, das Institut der virtuellen Hauptversammlung dauerhaft in das Aktiengesetz aufzunehmen. Bereits im Februar 2022 legte das Bundesministerium der Justiz einen in der Tendenz unternehmensfreundlichen Gesetzentwurf zur Einführung von virtuellen Hauptversammlungen vor. Ende April 2022 folgte dann der Referentenentwurf, der die Rechte der Aktionäre wieder stärker betonte und auf erhebliche Kritik stieß.

Was die genaue rechtliche Ausgestaltung der virtuellen Hauptversammlung und insbesondere die Ausübung der einzelnen Aktionärsrechte betrifft, besteht auf gesetzgeberischer Ebene noch reichlich Diskussionsbedarf. Insoweit bleibt abzuwarten, ob die in Aussicht stehenden Gesetzesänderungen tatsächlich die Grundlage für eine rechtssichere und vor allem praxisnahe Abhaltung von virtuellen Hauptversammlungen bieten werden.

4.         IT-Sicherheit und Datenschutz

Auf Vorstands- bzw. Geschäftsführungsebene führte die Digitalisierung neben neuen Kommunikationsmöglichkeiten zu einem deutlichen Zuwachs des Pflichtenkatalogs. Die Risiken für eine Inanspruchnahme aus einer Organhaftung haben sich hierdurch deutlich erhöht.

Anschaulich zeigt sich dies am Beispiel der IT-Sicherheit. Im Laufe der letzten 25 Jahre hat sich der Einsatz moderner Informationstechnologie bei nahezu allen Unternehmen mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit bzw. sogar zur wirtschaftlichen Notwendigkeit entwickelt. Schon seit geraumer Zeit sind beispielsweise der Vertrieb, der Einkauf und die Fertigung maßgeblich auf funktionsfähige IT-Systeme angewiesen. Der Ausfall der IT kann zu kompletten Produktionsausfällen führen und das Unternehmen in seiner Handlungsfähigkeit stark einschränken. Es liegt insofern auf der Hand, dass sich die IT-Sicherheit in den letzten Jahrzehnten zur „Chefsache“ entwickelt hat. Sie ist eine originäre Verpflichtung der Unternehmensleitung, die es im Rahmen des Risikomanagements angemessen zu berücksichtigen gilt. Die Geschäftsleitung hat dafür Sorge zu tragen, dass etwaige Risiken für die IT-Systeme des Unternehmens erkannt und entsprechende technische sowie organisatorische Maßnahmen zur Risikominimierung ergriffen werden. Werden diese Pflichten verletzt, kann dies im Schadensfall zu einer Haftung gegenüber der Gesellschaft führen.

Ein deutlicher Pflichtenzuwachs hat sich zudem im Bereich der Datensicherheit und des Datenschutzes ereignet. Aufgrund der gesteigerten technischen Möglichkeiten zur Speicherung, Verarbeitung und Übermittlung von Daten, hat der Schutz personenbezogener Daten für den Gesetzgeber einen immer größeren Stellenwert eingenommen. Die seit dem Jahr 2018 geltende Datenschutzgrundverordnung hält insoweit eindrücklich fest, dass der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ein Grundrecht darstellt. Die Geschäftsleitung muss dies entsprechend berücksichtigen und dafür Sorge tragen, dass keine internen Datenschutzverstöße – etwa durch eigene Mitarbeiter – stattfinden. Darüber hinaus muss die Geschäftsleitung das Unternehmen angemessen vor externen Datenschutzverstößen – wie beispielsweise Hackerangriffen auf Kundendaten – schützen.

5.         Künstliche Intelligenz

Seit einigen Jahren vermehrt diskutiert wird zudem die Frage nach dem Einsatz künstlicher Intelligenz auf Ebene der Geschäftsleitung. Künstliche Intelligenz (KI) meint hierbei technische Anwendungen bei den Maschinen menschenähnliche Intelligenzleistungen vollbringen und mitunter eigenständige Entscheidungen treffen.

Aus rechtlicher Sicht ist hierbei vor allem von Interesse, ob und inwiefern Leitungsentscheidungen in einem Unternehmen auf der Grundlage von KI-Systemen oder sogar durch diese Systeme selbst getroffen werden dürfen. Für die Geschäftsleitung besonders relevant ist hierbei die Frage, ob sich unter Umständen sogar eine Pflicht ergeben kann, künstliche Intelligenz bei der Entscheidungsfindung einzusetzen. Zum derzeitigen Zeitpunkt wird dies wohl nicht der Fall sein. Mit zunehmender Verbreitung und technischer Weiterentwicklung von KI-Systemen kann sich dies aber durchaus ändern. Schließlich hat sich die Geschäftsleitung darum zu bemühen, das Unternehmen gegenüber Mitbewerbern zu stärken und zu einer Maximierung des Unternehmensgewinns beizutragen. Im Einzelfall könnte dies bald zu einer Pflicht zum Einsatz entsprechender „digitaler Werkzeuge“ führen.

Was den Einsatz von und den Umgang mit künstlicher Intelligenz betrifft, steht die Gesetzgebung naturgemäß noch am Anfang. Teilweise sind aber schon jetzt erste Regelungsansätze erkennbar. So ordnet beispielsweise das Wertpapierhandelsgesetz spezielle Organisationspflichten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen an, die Finanzinstrumente mit Hilfe von Computeralgorithmen handeln (§ 80 Abs. 2 WpHG). Es ist davon auszugehen, dass die Regelungsdichte in diesem Bereich in der Zukunft deutlich zunehmen wird und sich hierdurch auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Geschäftsleitung ändern werden.

6.         Elektronische Wertpapiere

Als Digitalisierungsbeispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist die Möglichkeit zur Begebung von elektronischen Wertpapieren hervorzuheben. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über elektronische Wertpapiere (eWpG) Mitte des letzten Jahres ist es rechtlich zulässig, Wertpapiere elektronisch zu begeben. Die Emission von Wertpapieren setzt somit nicht mehr zwingend deren Verkörperung in einer Urkunde voraus. Das eWpG ermöglicht hierbei auch die Emission von sogenannten Kryptowertpapieren, die in elektronischen Kryptowertpapierregistern eingetragen sind. Mit der Einführung des eWpG reagierte der deutsche Gesetzgeber auf die in den letzten Jahren zunehmende Verbreitung der Distributed Ledger Technologie, die beispielsweise auch bei Blockchain-Infrastrukturen genutzt wird.

Bislang findet das eWpG nur auf Inhaberschuldverschreibungen und Investmentanteilsscheine Anwendung. Erfasst sind somit beispielsweise klassische Anleihen, Wandel- und Optionsschuldverschreibungen, Genuss- und Optionsscheine oder Anlagenzertifikate. Die Begebung von elektronischen Aktien ist derzeit noch nicht möglich. Ausweislich des Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung ist eine entsprechende Ausweitung des Anwendungsbereichs des eWpG allerdings beabsichtigt und dürfte noch in dieser Legislaturperiode erfolgen.

Von der Einführung elektronischer Aktien erhofft sich die Praxis erhebliche Effizienzgewinne, da dies unter anderem zu einer einfacheren Identifikation der Aktionäre und einer einfacheren Durchsetzung von unternehmensverfassungsrechtlichen Regeln führen soll. Ob und inwiefern die erhofften Effizienzgewinne auf Gesellschaftsebene tatsächlich eintreten werden, bleibt abzuwarten. Die Einführung elektronischer Aktien würde jedenfalls dem bereits jetzt zu beobachtenden Trend entsprechen, Forderungen zu „Tokenisieren“. Hierbei werden Vermögenswerte mit sog. Tokens verknüpft, deren Transaktionshistorie in kryptobasierten Registern, wie beispielsweise einer Blockchain, hinterlegt wird.

7.         Fazit

Die technische Entwicklung der letzten 25 Jahre hat im Gesellschaftsrecht zu zahlreichen Neuerungen geführt und sowohl die Rechtspraxis als auch den Gesetzgeber ein aufs andere Mal vor anspruchsvolle Aufgaben gestellt. Im Hinblick auf den immer schneller fortschreitenden technologischen Wandel bleibt mit Spannung abzuwarten, was die nächsten Jahre an technischen und rechtlichen Errungenschaften bereithalten werden.

    Sie haben Fragen oder Anregungen zum Artikel?

    Jetzt Kontakt aufnehmen:





    * Pflichtfeld

    Ähnliche Beiträge