Ein Rückblick auf 25 Jahre Arbeitsrecht / Arbeitsrecht im Wandel der Zeit

Ein Rückblick auf die letzten 25 Jahre im Arbeitsrecht macht deutlich, wie stark dieses Rechtsgebiet sozialen, wirtschaftlichen, technologischen und politischen Einflüssen und Veränderungen unterliegt. Dies ist nicht nur an den gesetzlichen Regelungen der jeweiligen Bundesregierung festzumachen, sondern gerade auch an den zwingenden europäischen Vorgaben, die in Umfang und Bedeutung für das Arbeitsleben stetig zugenommen haben. Die Auswirkungen auf die Arbeitswelt und die arbeitsrechtliche Praxis sind enorm.

Im Folgenden stellen wir Praxisbeispiele aus 25 Jahren Kanzleigeschichte vor, an denen dieser Wandel gut erkennbar ist und die für unsere anwaltliche Tätigkeit im Laufe der Zeit prägend sind

1. Abgrenzung Arbeits- und Dienstverhältnis

Die Abgrenzung zwischen weisungsabhängigem Arbeits- und freiem Dienstverhältnis ist für die arbeitsrechtliche Praxis von zentraler Bedeutung. Im Arbeitsverhältnis sind einerseits die zwingenden arbeits- und arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben wie z.B. Sonderkündigungsschutz, Pflicht zur Gewährung des Mindestlohns, Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im Urlaubs-, Krankheits- und sonstigem Verhinderungsfall, Pflicht zur Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Vorgaben etc. einzuhalten. Andererseits sind für weisungsabhängig erbrachte Leistungen Sozialabgaben und Lohnsteuer abzuführen.

In arbeits- und sozialrechtlicher Rechtsprechung haben sich im Lauf der Zeit Leitsätze zur Frage, wer Arbeitnehmer ist, entwickelt. Diese wurden in dem 2017 in Kraft getretenen § 611a Abs. 1 BGB übernommen. Danach ist Arbeitnehmer, wer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Die gesetzliche Regelung stellt allerdings in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung klar, dass eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen ist und dass es maßgeblich auf die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses – und nicht auf die vertragliche Ausgestaltung – ankommt. Die Neuregelung hat damit für die Rechtspraxis nur in geringem Umfang Rechtssicherheit bewirkt, es verbleibt weiterhin bei den Abgrenzungsschwierigkeiten und den erheblichen Risiken der Beschäftigung sog. Scheinselbständiger.

Die Problematik wird durch die Praxis der Sozialversicherungsträger, welche in Zeiten leerer Rentenkassen immer mehr dazu tendieren, im Zweifelsfall   regelmäßig eine Sozialabgabenpflicht festzustellen, zusätzlich verschärft. Und auch in der sozialrechtlichen Rechtsprechung ist eine deutliche Tendenz zur regelhaften Annahme einer abhängigen Beschäftigung bei Vorliegen ansatzweiser Indizien festzustellen.

2. Arbeitnehmerüberlassung

Kaum ein anderes Rechtsgebiet unterlag in den letzten 25 Jahren so weitreichenden und grundsätzlichen Gesetzesänderungen wie das Recht der Arbeitnehmerüberlassung. Zunächst wurde die zulässige Dauer der Arbeitnehmerüberlassung im Zuge des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes von 1997 von damals 9 auf dann 12 Monate und schließlich 2002 mit dem Job-AQTIV-Gesetz auf 24 Monate erhöht. Mit dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I) war ab dem 01.04.2004 eine Überlassung von Leiharbeitnehmern ohne zeitliche Beschränkung zulässig. Dies führte dazu, dass die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Leiharbeitnehmer von knapp 200.000 im Jahr 1996 auf mehr als 1.000.000 im Jahr 2017 anstieg. Zudem wurden eine Vielzahl reiner Verleihgesellschaften gegründet, welche Arbeitnehmer in die Betriebe verliehen, teilweise auf ihren ursprünglichen Arbeitsplatz. Dies ermöglichte insbesondere eine Tarifflucht durch Outsourcen der Arbeitnehmer auf nicht tarifgebundene Verleihgesellschaften. Aufgrund dieser Entwicklungen wurde die Zulässigkeit der Arbeitnehmerüberlassung mit dem zum 01.04.2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze erheblich eingeschränkt. Leiharbeitnehmer dürfen seit dieser Zeit nur noch maximal 18 Monate im gleichen Entleihbetrieb eingesetzt werden. Zudem fingiert das AÜG das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher in verschiedenen Konstellationen, auch bei Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer. Einzelnen Ausnahmefälle, die nicht dem deutschen AÜG unterfallen, wie z.B. Gestellung im öffentlichen Dienst, werden derzeit vom EuGH überprüft.

3. Kleinbetriebe und die Anwendbarkeit des Sonderkündigungsschutzes

Mit Wirkung zum 01.01.2004 hat sich der Schwellenwert für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) geändert. Die Bedeutung für die arbeitsrechtliche Praxis zeigt folgendes Beispiel:

In einem Betrieb sind sechs in Vollzeit tätige Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Arbeitnehmer hat große Probleme damit, mit den neuen Maschinen umzugehen. Aufgrund der vielen Fehlversuche ist es zu relevanten Verzögerungen bei der Auftragsbearbeitung gekommen. Der Arbeitnehmer weigert sich jedoch auch nach mehreren Gesprächen, etwas an seiner Arbeitsweise zu ändern.

Der Betriebsleiter möchte sich nun vom Arbeitnehmer trennen.

Nach heutiger Rechtslage wäre der Ausspruch einer ordentlichen und fristgerechten Arbeitgeberkündigung auch ohne Vorliegen eines tragfähigen Kündigungsgrundes mangels Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes nach dem KSchG grundsätzlich wirksam und erfolgsversprechend. Während nach dem KSchG in der bis 2004 geltenden Fassung nur dann ein Kleinbetrieb vorlag, wenn regelmäßig weniger als sechs Arbeitnehmer beschäftigt waren, wurde dieser Schwellenwert mit Wirkung ab dem 01.01.2004 auf 10 Arbeitnehmer angehoben.

Zwar ist nach der Rechtsprechung auch bei arbeitgeberseitigen Kündigungen in Kleinbetrieben stets ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme erforderlich. Die ausgesprochenen Kündigungen dürfen sich insbesondere nicht als treu- oder sittenwidrig erweisen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass außerhalb des KSchG dem Arbeitgeber praktisch die in diesem Gesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Übertragung weiterer kündigungsschutzrechtlicher Prinzipien, wie z.B. das Erfordernis des Ausspruchs einer vorhergehenden Abmahnung bei verhaltensbedingten Kündigungen, auf Kündigungen in Kleinbetrieben abgelehnt.

Die Anhebung des Schwellenwertes sichert Kleinbetrieben mehr Flexibilität zu, was die Besetzung der Belegschaft angeht. Gerade in solchen Betrieben ist ein gewisser Handlungsspielraum notwendig, um auf wirtschaftliche Veränderungen reagieren zu können, um so den Betrieb vor finanziellen Belastungen zu schützen.

4. AGB

Eine weitere wesentliche und weitreichende Änderung für die arbeitsrechtliche Praxis bedeutete die Neufassung der gesetzlichen Regelungen zu vorformulierten Vertragsbedingungen (Allgemeine Geschäftsbedingungen – AGB). Seit Inkrafttreten der §§ 305 ff. BGB mit Wirkung zum 01.01.2002 und der Ablösung des AGBG besteht für alle neu abgeschlossenen, vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsverträge ein erheblich höheres Schutzniveau zugunsten des Arbeitnehmers. Die zuvor gesetzlich geregelte Bereichsausnahme des AGBG für das Arbeitsrecht wurde aufgegeben, der Gesetzgeber erkannte ein Bedürfnis an weitreichender gerichtlicher Kontrolle einseitig vom Arbeitgeber festgesetzter Arbeitsbedingungen. Dies hat zur Folge, dass mittlerweile alle Bedingungen des Arbeitsvertrags mit Ausnahme der Hauptleistungspflichten – v.a. Arbeitsleistung und Vergütung – der Transparenz- und Inhaltskontrolle der §§ 305 ff. BGB unterliegen. Danach ist eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers nicht nur bei Intransparenz der Bestimmungen des Arbeitsvertrags, sondern im Zweifel auch dann anzunehmen, wenn eine solche Bestimmung nicht mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung sowie des Richterrechts zu vereinbaren ist. Rechtsfolge eine intransparenten bzw. unangemessenen Vertragsbestimmung ist deren Unwirksamkeit und die Geltung der gesetzlichen Regelungen. Zudem gehen Zweifel bei der Auslegung von AGB zu Lasten des Vertragsverwenders. Dies ist stets der Arbeitgeber, sofern der Arbeitsvertrag nicht ausnahmsweise vom Arbeitnehmer gestellt wurde. Eine solcher Fall ist in der Praxis jedoch so gut wie ausgeschlossen.

Die Gesetzesänderung und die aufgrund dieser ergangene umfangreiche Rechtsprechung hatte zur Folge, dass eine Vielzahl von zuvor wirksamen Regelungen in Arbeitsverträgen nunmehr als unwirksam anzusehen war, wie z.B. Ausschlussklauseln, Freiwilligkeitsvorbehalte, Widerrufsrechte, etc. oder zugunsten des Arbeitnehmers auszulegen waren, wie z.B. Verweise auf tarifliche Regelungen. Für die arbeitsrechtliche Praxis bedeutet dies, dass seit dem 01.01.2002 ein Schwerpunkt in der Formulierung von Arbeitsverträgen und deren Anpassung an die Änderungen der gesetzlichen Regelungen sowie der Rechtsprechung besteht.

5. Massenentlassungsanzeige

Geht eine Restrukturierung von Betrieben mit dem Abbau von Personal einher, ist in vielen Fällen die Stellung einer Massenentlassungsanzeige erforderlich. Das dabei zu beachtende Verfahren ist seit jeher in § 17 KSchG geregelt. Allerdings enthält die Vorschrift nur sehr rudimentäre Vorgaben. Infolgedessen wurden die einzuhaltenden Anforderungen an das Verfahren zur Konsultation der bestehenden Gremien (v.a. Mitarbeiter- und Schwerbehindertenvertretung) sowie das eigentliche Anzeigeverfahren in erheblichem Maße durch nationale wie europäische Rechtsprechung geprägt. Im Laufe der Jahre erging eine kaum zu überblickende Vielzahl von Entscheidungen.

Die besondere Brisanz für die arbeitsrechtliche Praxis besteht darin, dass jeder einzelne Verstoß die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige und aller anzuzeigenden Entlassungen nach sich zieht. Dies kann nicht nur der Fall sein, wenn die zuständigen Gremien bzw. Behörden nicht einbezogen werden, sondern auch bei unvollständigen oder fehlerhaften Angaben in Konsultations- und Anzeigeverfahren, wie z.B. den Angaben zur Anzahl der regelmäßig beschäftigten und zu entlassenden Arbeitnehmer, deren Berufsgruppen etc. Eine Sicherstellung der Richtigkeit der Angaben erweist sich nicht selten vor allem deshalb als besonders schwierig, weil sich Anzahl und Person der zu betroffenen Arbeitnehmer im Verlauf der Beratungen ändern, namentlich bei Aufhebungsverträgen, Eigenkündigungen, Renteneintritten oder im Zusammenhang mit Interessenausgleichsverhandlungen. Hinzu kann außerdem kommen, dass die Erforderlichkeit der Berücksichtigung einzelner Personen („freier Mitarbeiter“, Leiharbeitnehmer etc.) oder die Betriebszugehörigkeit (Außendienstmitarbeiter, Arbeitnehmer, die ausschließlich im Home-Office tätig sind etc.) unklar sein kann.

Die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, die erhebliche Fehleranfälligkeit bei Erstellung einer korrekten und damit wirksamen Massenentlassungsanzeige sowie die drohenden nachteiligen Folgen haben zu einem erheblichen Beratungsbedarf für den Arbeitgeber geführt.

6. Urlaubsrecht

Das Urlaubsrecht hat sich in den vergangenen 25 Jahren in erheblichem Maße verändert. Dies geht insbesondere auf europarechtliche Einflüsse zurück.

Beispiel: Aufgrund einer chronischen Krankheit war ein Arbeitnehmer seit über 36 Monaten arbeitsunfähig erkrankt. Als er nach überwundener Krankheit zum 01.01.2022 seine Arbeit wiederaufnimmt, fragt er bei seinem Vorgesetzten nach, wie viele Urlaubstage ihm denn nun noch zustehen. Vor Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit konnte der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub aus 2018 nicht vollständig in Anspruch nehmen.

Nach dem Wortlaut des deutschen Bundesurlaubsgesetzes muss Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen und gewährt werden. Eine Übertragung des Urlaubs in das nächste Kalenderjahr ist nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen möglich, wenn eine Inanspruchnahme des Urlaubs im Urlaubsjahr aufgrund dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe nicht möglich ist. Im Falle einer solchen Übertragung muss der Urlaub innerhalb der ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres genommen werden.

Aufgrund dessen entsprach es bis 2009 ständiger Rechtsprechung, dass auch bei Langzeiterkrankungen alle nicht genommenen Urlaubsansprüche mit Ende des Übertragungszeitraums restlos verfallen. Abweichend davon hat der EuGH jedoch entschieden, dass ein solcher Verfall gegen die EG-Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung verstößt. Der Urlaubsanspruch eines Langzeiterkrankten muss aus europarechtlicher Sicht auch dann erhalten bleiben, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit über den Übertragungszeitraum hinausgeht. Bei einer mehrjährigen Erkrankung addieren sich die Urlaubsansprüche entsprechend.

Die nationale Rechtsprechung hat diese Vorgaben des EuGHs in der Folgezeit übernommen. Dies führte in der Praxis dazu, dass langzeiterkrankte Arbeitnehmer in erheblichem Maße Urlaubsansprüche ansammelten. Somit sah sich die nationale Rechtsprechung zwei Jahre später zu einer Begrenzung veranlasst. Das BAG urteilte, dass der Urlaub jedenfalls spätestens 15 Monate nach Ablauf des Übertragungszeitraums, also 18 Monate nach Ende des Kalenderjahres, in welchem der Urlaub entstand verfällt. Diese Begrenzung wurde vom EuGH nicht beanstandet.

Für den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers im eingangs dargestellten Beispiel bedeutet dies, dass dieser im Jahr 2022 kein Urlaub mehr aus 2018 und 2019 zusteht. Der Urlaub aus 2020 ist bis 30.09.2022 in Anspruch zu nehmen.

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