Der aktuelle Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Tariftreuegesetz sieht unter anderem auch eine für die Praxis bedeutende Anpassung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) vor. Danach sollen im Zuge der geplanten Reformen zur Stärkung der Tarifautonomie künftig die Zugangsrechte von Gewerkschaften zu Betrieben erweitert und diesen auch ein digitales Zugangsrecht gewährt werden.
Hintergrund und Ziel der geplanten Anpassung
Die geplante Anpassung zielt darauf ab, die Kommunikation von Gewerkschaften mit Arbeitnehmern im Betrieb des Arbeitgebers zu modernisieren. Bisher ist das Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb im Wesentlichen auf den physischen Zugang beschränkt. Angesichts der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt und der Verbreitung von remote Tätigkeit sowie Homeoffice werden diese traditionellen Zugangswege von Gewerkschaften zum Teil als unzureichend angesehen. Arbeitnehmer arbeiten vermehrt dezentral und haben daher weniger direkten Kontakt zu ihren Arbeitsstätten.
Mit der nach dem Referentenentwurf geplanten Ausweitung des Zugangsrechts sollen Gewerkschaften künftig nach § 2 Abs. 2 BetrVG einerseits das Recht haben, sich physisch Zugang zum Betriebsgelände zu verschaffen. Darüber hinaus sollen sie auch die im Betrieb verwendeten Informations- und Telekommunikationstechnologien nutzen dürfen.
Umsetzung des geplanten digitalen Zugangsrechts
Nach dem aktuellen Referentenentwurf sollen künftig aktive Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers bestehen. Dieser soll unter anderem auf Verlangen der Gewerkschaften die betrieblichen E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer herauszugeben haben. Zudem sollen Arbeitgeber nach dem Referentenentwurf künftig aktiv dafür zu sorgen haben, dass Gewerkschaften ihre Mitglieder über die digitalen Kommunikationskanäle des Betriebs erreichen können. Damit würde die von Arbeitgebern geforderte Mitwirkung weit über die aktuell in § 2 Abs. 2 BetrVG geregelte Mitwirkungspflicht hinausgehen. Diese beschränkt sich derzeit vorwiegend auf die Duldung des physischen Zugangs.
Umfang und Grenzen des geplanten digitalen Zugangsrechts
Das nach dem Referentenentwurf geplante digitale Zugangsrecht der Gewerkschaften soll aber nicht uneingeschränkt gelten. Es ist grundsätzlich auf die im Betrieb vorhandenen und eingesetzten Informations- und Telekommunikationstechnologien beschränkt. Eine Pflicht des Arbeitgebers, neue oder zusätzliche Technologien zu implementieren, um den Gewerkschaften digitalen Zugang zu verschaffen, besteht auch künftig nicht. Ferner ist keine digitale Zugangspflicht geplant. Vielmehr sind die Gewerkschaften angehalten, die jeweils zweckmäßigste Zugangsform zu wählen, sei es digital, analog oder eine Kombination beider Zugangswege. Gewerkschaften sollen somit parallel mehrere Zugangswege nutzen, um die gesamte Belegschaft zu erreichen, soweit nicht bereits vorrangig zu beachtende verbindliche Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften über den Zugang zum Betrieb – sei es analog oder digital – bestehen.
Solche bestehenden wie auch zukünftigen Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften bleiben nach dem Referentenentwurf unberührt und gehen den gesetzlichen Regelungen weiterhin vor. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie den betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben der Gewerkschaften nicht entgegenstehen.
Fazit: Eine tiefgreifende Erweiterung der digitalen Mitbestimmung
Die Regelungen im Referentenentwurf bedeuten eine tiefgreifende Erweiterung der Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften. Diese Regelungen würden erstens erhebliche datenschutzrechtliche Fragen und Probleme aufwerfen: Angefangen von der Zulässigkeit der Weitergabe von persönlichen E-Mail-Adressen an Dritte ohne Einverständnis der Arbeitnehmer bis hin zur datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit. Hinzukommen würden auch erhebliche Risiken im Zusammenhang mit der IT-Sicherheit des Arbeitgebers. Den Gewerkschaften würden als externen Dritten relevante Zugangsmöglichkeiten und ggf. faktische Zugriffsrechte verschafft. Ferner ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber diesen noch nicht einmal vertraglich Schutz- und Sorgfaltspflichten auferlegen können wird.