Bundesverwaltungsgericht: Tübinger Satzung über die Erhebung einer Verpackungssteuer ist als örtliche Verbrauchssteuer zulässig

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Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 24. Mai 2023 die „Satzung der Universitätsstadt Tübingen über die Erhebung einer Verpackungssteuer“ vom 30. Januar 2020 (Verpackungssteuersatzung) für im Wesentlichen rechtmäßig erklärt.

Gegenstand der Entscheidung

Streitgegenstand der Entscheidung war die zum 01.01.2022 in Kraft getretene Verpackungssteuersatzung der Stadt Tübingen. Die von der Stadt eingeführte sog. Verpackungssteuer umfasste gem. § 1 der Satzung nicht wiederverwendbare Verpackungen und Besteck soweit „Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden (z.B. warme Speisen und Getränke, Eis von der Eisdiele, Salat mit Soße und Besteck, Getränke „to go“).“

Der Steuersatz wird gem. § 4 der Satzung für Einweggetränkeverpackungen auf 0,50 Euro, für Einweggeschirrteile und Einweglebensmittelverpackungen auf 0,50 Euro und für Einwegbesteck (-sets) auf 0,20 Euro festgesetzt. Der Steuersatz pro Einzelmahlzeit wird auf maximal 1,50 Euro begrenzt. Mit der Satzung sollen Einnahmen für den städtischen Haushalt erzielt, die Verunreinigung des öffentlichen Raums verringert und ein Anreiz zur Verwendung von Mehrwegsystemen gesetzt werden.

Gegen die Satzung stellte die Betreiberin eines Schnellrestaurants mit sog. „Drive-In“ einen Normenkontrollantrag.

Entscheidungen des VGH Mannheim

In der Vorinstanz hat der VGH Mannheim die Verpackungssteuer insbesondere aus folgenden Gründen für unwirksam erklärt:

  • Keine örtliche Verbrauchssteuer: Es handele sich nicht um eine „örtliche“ Verbrauchssteuer i.S.v. Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG (i.V.m. § 9 Abs. 4 KAG), da der erforderliche örtliche Bezug fehle. Insbesondere beim Verkauf im „Drive-In“ finde der Verzehr nicht typischerweise im Gemeindegebiet statt.
  • Widersprüchliche Lenkungswirkung: Die Verpackungssteuer entfalte eine starke Lenkungswirkung, die im Widerspruch zu den abfallrechtlichen Regelungen des Bundes (Kreislaufwirtschaftsgesetz und Verpackungsgesetz) stehe. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts insbes. zur kommunalen Verpackungsteuer der Stadt Kassel (Urteil vom 07.05.1998, 2 BvR 1991–95 u. 2004–95), dürften steuerliche Regelungen nur insoweit lenkend eingreifen als die Lenkungswirkung noch mit der gesetzlichen Grundkonzeption vereinbar sei. Das bundesrechtliche Abfallrecht entfalte hier eine Sperrwirkung.
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Auf die Revision der Stadt hat das Bundesverwaltungsgericht die kommunale Steuer für überwiegend rechtmäßig erklärt. Es handele sich bei der Verpackungssteuer um eine örtliche Verbrauchsteuer für deren Einführung die Stadt Tübingen zuständig war. Bei den zum unmittelbaren Verzehr, auch als “take-away”, verkauften Speisen und Getränken finde deren Konsum bei typisierender Betrachtung innerhalb des Gemeindegebiets statt, sodass der örtliche Charakter der Steuer hinreichend gewahrt sei.

Die Steuer entfalte keine widersprüchliche Lenkungswirkung, da es um die Vermeidung von Verpackungsabfall im Stadtgebiet gehe. Sie verfolge damit auf lokaler Ebene kein gegenläufiges, sondern dasselbe Ziel wie der Unions- und der Bundesgesetzgeber. Soweit das Bundesverfassungsgericht vor 25 Jahren seine gegenteilige Ansicht zur damaligen Kasseler Verpackungssteuer auf ein abfallrechtliches „Kooperationsprinzip” gestützt habe, lasse sich ein solches dem heutigen Abfallrecht kaum noch entnehmen.

Einordnung und Ausblick

Die Stadt Tübingen hat mit ihrer Satzung hochumstrittenes juristisches Neuland betreten und wurde für ihren Mut (bislang) belohnt. Aufgrund des hohen Handlungsdrucks für Kommunen, den vor Ort anfallenden Abfalls zu reduzieren, ist zu erwarten, dass andere Kommunen vergleichbare Satzungen erlassen werden.

Allerdings besteht derzeit noch keine abschließende Rechtssicherheit: Zwar werden verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten im Regelfall mit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abschließend entschieden. Da die kommunale Verpackungssteuer aber eine Vielzahl verfassungsrechtlicher Fragen aufwirft, ist nicht unwahrscheinlich, dass es auch im vorliegenden Fall (wie zuletzt 1998 bei der Kasseler Verpackungssteuer) zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt. Da das Bundesverwaltungsgericht jedoch seine vom damaligen Verfassungsgerichtsurteil abweichende Einschätzung vor dem Hintergrund der Neufassung des Abfallrechts überzeugend begründet, ist es – wenn der im Revisionsverfahren unterlegene Betreiber eines Schnellrestaurants Verfassungsbeschwerde einreicht – gut möglich, dass das Bundesverfassungsgericht dann die Gelegenheit ergreift, seine 25 Jahre alte Rechtsprechung zur Zulässigkeit kommunaler Verpackungssteuern, die damals im Schrifttum sehr kritisch aufgenommen worden ist, anhand des heutigen Bundesrechts zu überprüfen. Dafür könnte auch sprechen, dass der damals leitende, vom Verfassungsgericht neu formulierte Grundsatz der Widerspruchsfreiheit seither von ihm selbst, aber auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, kaum Verwendung gefunden hat.

Rechtsanwältin Wiebke Hederich, LL.M. (Otago)

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