Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Online-Krankschreibung ohne ärztliche Untersuchung genügt nicht

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Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist in der Regel nur schwer zu erschüttern. Aktuell lässt die Rechtsprechung jedoch erkennen, dass sie bereit ist, die diesbezüglichen Hürden für den Arbeitgeber etwas niedriger anzusetzen.

Anlässlich der Corona-Pandemie war seit 19.10.2020 die Möglichkeit eingeführt worden, sich bei leichten Atemwegserkrankungen für bis zu sieben Tage (mit einmaliger Verlängerungsmöglichkeit) telefonisch krankschreiben zu lassen. Diese Sonderregelung wurde vom gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) bis zum 30.12.2021 verlängert. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit ein Arbeitgeber diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als hinreichenden Nachweis für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit anerkennen muss. Denn die Beschlüsse des GBA sind für den Arbeitgeber nicht bindend.

Es gibt immer mehr gewerbliche Angebote, bei denen sich Arbeitnehmer über Messenger-Dienste (z.B. WhatsApp) eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen lassen können, ohne jemals Kontakt zu einem Arzt gehabt zu haben. Es besteht beispielsweise die Möglichkeit, auf einer Website zwischen verschiedenen Erkrankungen zu wählen, sodann wird nach Eingabe der persönlichen Daten durch einen Arzt die Arbeitsunfähigkeit ohne persönliche Untersuchung bescheinigt. Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 01.04.2021 – 42 Ca 16298/20) hat entschieden, dass die Beweiskraft einer solchen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist, weil es an einem persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patienten fehlte. Ohne einen solchen Kontakt kann sich jedoch der Arzt keine persönliche Überzeugung über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers machen. Will der Arbeitnehmer in einem solchen Fall seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht verlieren, muss er in einem Prozess darlegen und beweisen, dass er im streitigen Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Dies dürfte rückwirkend, wenn der Patient nicht beim Arzt vorstellig war, schwierig sein, mit der Folge, dass die Fehlzeiten nicht hinreichend entschuldigt sind und keine Entgeltfortzahlung geschuldet ist.

Der Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin sind keine generellen Aussagen zur Zulässigkeit von Telemedizin bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu entnehmen. Inwieweit auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihre Beweiskraft verliert, wenn der Arbeitnehmer eine ärztliche Beratung und Behandlung im Wege der (Video-)Telefonie wahrgenommen hat, ist bislang nicht entschieden.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21) hat jüngst in einem arbeitgeberfreundlichen Urteil die Grenzen der Beweiskraft einer AU-Bescheinigung aufgezeigt. Es hat festgestellt hat, dass der Beweiswert einer solchen Bescheinigung erschüttert ist, wenn ein Arbeitnehmer am Tag des Zugangs einer Kündigung eine Krankschreibung einreicht, die auf den Tag genau der Länge der Kündigungsfrist entspricht.

Erfahrungsgemäß tendieren auch immer mehr Arbeitsgerichte dazu, den Beweiswert von AU-Bescheinigungen als zweifelhaft anzusehen, wenn ein Arbeitnehmer nach einer Kündigung mit einer langen Kündigungsfrist alle sechs Wochen eine neue Erstbescheinigung von einem anderen Arzt hereinreicht, um für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist einen Entgeltfortzahlungsanspruch zu generieren.

Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung der Obergerichte sich in diesem Themenkreis weiterentwickelt. Aus unserer Sicht ist jedoch eine Tendenz zu erkennen, zugunsten der Arbeitgeber dem Missbrauch von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einen Riegel vorzuschieben.

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