BAG: Crowdworker können Arbeitnehmer sein

Moderne Beschäftigungsformen sowie die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt beschäftigen derzeit nicht nur Politik, sondern auch die Rechtsprechung. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte letzte Woche über den Arbeitnehmerstatus eines Crowdworkers zu entscheiden. Entgegen der Vorinstanzen erkannte das BAG in dem zu entscheidenden Fall auf eine weisungsgebundene und fremdbestimmte Tätigkeit des Crowdworkers in persönlicher Abhängigkeit und damit auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, Urteil vom 01.12.2020 – 9 AZR 102/20.

Unabhängig davon plant das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), die Vermittlung von Arbeit über digitale Plattformen zu regulieren, um insbesondere den rechtlichen Status von Plattformtätigen leichter und rechtssicher zu klären.  

1.Zugrundliegender Sachverhalt des BAG-Urteils

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt nimmt das beklagte Crowdsourcing-Unternehmen für seine Kunden Kontrollen von Produktpräsentationen im Einzelhandel und an Tankstellen vor. Die Kontrolltätigkeiten werden durch Crowdworker ausgeführt. Deren Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, Fotos von Warenpräsentationen anzufertigen und Fragen zur Werbung von Produkten zu beantworten. Die Vergabe dieser Kontrollaufträge bietet die Beklagte auf einer Online-Plattform an. Crowdworker können diese über einen persönlichen Nutzungszugang annehmen. Eine Verpflichtung zur Annahme der Aufträge besteht nicht. Nimmt der Crowdworker einen Auftrag an, muss er diesen regelmäßig innerhalb von zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben der Beklagten ausführen. Für jeden erledigten Auftrag werden dem Crowdworker sog. Erfahrungspunkte auf seinem Nutzerkonto gutgeschrieben. Je mehr Erfahrungspunkte ein Crowdworker gesammelt hat, desto höher sein Level. Letzteres ermöglicht dem Crowdworker die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge, und infolgedessen seinen Stundensatz zu steigern. 

Der Kläger führte für die Beklagt zuletzt im Zeitraum von elf Monaten 2978 Aufträge aus. Die Beklagte teilte dem Kläger Anfang 2018 mit, dass sie ihm aufgrund einiger Unstimmigkeiten keine weiteren Aufträge mehr anbieten werde. Der Kläger begehrte daraufhin gerichtliche Feststellung, dass zwischen ihm und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis besteht. Darüber hinaus machte der Kläger ausstehende Vergütungsansprüche geltend. Die Beklagte kündigte daraufhin ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis vorsorglich. Der Kläger erweiterte daraufhin seine Klage um einen Kündigungsschutzantrag.

2.Entscheidung des BAG

Nachdem der Kläger in den Vorinstanzen unterlag, gab das BAG dem Kläger zumindest teilweise Recht: im Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung der Beklagten bestand mit dem Kläger ein Arbeitsverhältnis. Für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft kommt es unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls darauf an, ob der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Entscheidend hierfür ist insbesondere die Weisungsgebundenheit des Crowdworkers hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit. Maßgeblich ist insoweit das „gelebte“ Vertragsverhältnis und nicht etwa die Vertragsbezeichnung.

Im konkreten Fall gelangte das BAG zu dem Schluss, dass der Kläger in arbeitnehmertypischer Weise für die Beklagte tätig geworden sei. Ausschlaggebend hierfür war insbesondere das Anreizsystem der Beklagten: erst ein erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglichte es dem Kläger, mehrere Aufträge gleichzeitig anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit einen höheren Stundenlohn zu generieren. Hierdurch wurde der Kläger veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.

Das BAG hat die Revision des Klägers gleichwohl überwiegend zurückgewiesen, da die vorsorglich erklärte Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam beendet hat. Hinsichtlich der Vergütungsansprüche führte das BAG aus, dass der Kläger nicht ohne Weiteres eine Vergütung auf Berechnungsgrundlage seiner als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen kann. Geschuldet sei vielmehr nur die übliche Höhe Vergütung, welche durch das LG München zu klären sei.

3.Bewertung der Entscheidung

Ausgangspunkt für die Entscheidung des BAG war die Untersuchung des Grades der wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit des Klägers. Der Ausgestaltung des Vergütungssystems der Beklagten scheint das BAG in diesem Zusammenhang erhebliches Gewicht beigemessen zu haben. Insoweit werden die bislang noch nicht veröffentlichten Urteilsgründe genau zu untersuchen sein. Abzuwarten bleibt aber in jedem Fall noch die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe.

Daneben hat die Aussage des BAG zur Höhe der Vergütungsansprüche des Klägers eine erhebliche praktische Relevanz, auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht. Dies deshalb, weil sich diese Argumentation auf sämtliche Fälle übertragen lässt, in denen Scheinselbständige eine arbeitsvertragliche Vergütung verlangen. Insbesondere bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung verallgemeinerungsfähige (Faust-)Formeln für das Verhältnis der dem Scheinselbständigen zugesagten Honorare zu dessen Vergütung als Arbeitnehmer herausbildet und ob sich die Sozialgerichte hier anschließen.

4.Ausblick

Auch BMAS beschäftigt sich aktuell mit modernen Arbeitsformen und kündigte an, die Plattformarbeit zukünftig stärker zu regulieren. Das Positionspapier des BMAS sieht folgende wesentliche Eckpunkte vor, um die Rechte von Plattformtätigen gegenüber Arbeitsplattformen zu stärken:

  • Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung sowie Beteiligung der Plattformen an der Beitragszahlung
  • Verbesserung der Absicherung in der Unfallversicherung
  • Einführung einer Beweislastverlagerung in Prozessen zur Klärung des Arbeitnehmerstatus
  • Einführung von Mindestkündigungsfristen
  • Verbesserung der gerichtlichen Überprüfbarkeit bestimmter Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die die einseitig zu Lasten der Plattformtätigen gehen.

Selbstverständlich halten wir Sie wie gewohnt über die aktuellen Entwicklungen der Rechtsprechung und Gesetzeslage informiert.

Dr. Lorenz Mitterer                                         Katharina Schlonsak

Rechtsanwalt                                                  Rechtsanwältin

Fachanwalt für Arbeitsrecht

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