Aufklärung oder Ausschluss? Widerspruch ist nicht gleich Widerspruch

A stack of law books stands in front of a justice scale that is slightly out of focus. On top of the stack is an open law book.

Der Bundesgerichtshof (im Folgenden BGH) hat in seiner Entscheidung vom 18.06.2019 (X ZR 86/197) einen Pflock eingeschlagen, als er festlegte, dass ein Angebot nicht direkt ausgeschlossen werden darf, wenn es Abweichungen von den Vergabeunterlagen enthält. Dies gilt zumindest dann, wenn sich einem unvoreingenommenen Auftraggeber nach Art, Gegenstand und Ort der Abweichung die Möglichkeit aufdrängen muss, dass die Abweichung auf einem Missverständnis beruht. Dies sei beispielsweise bei einer vom Auftraggeber gestellten Abwehrklausel und den Vergabeunterlagen widersprechenden Klauseln im Angebot der Fall. Durch die Aufklärung müsse ein vollständig den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot herbeigeführt werden können.

Ausgehend davon könnte man als Bieter auf die Idee kommen, sich abzusichern und dem eigenen Angebot jeweils eine salvatorische Klausel mit dem Inhalt beizufügen, dass das Angebot vollumfänglich den Vergabeunterlagen entspreche. Dadurch würde bei versehentlichen Abweichungen zumindest ein aufklärungspflichtiger Widerspruch entstehen und ein Ausschluss würde nicht erfolgen, oder?

Nein! Dem trat die Vergabekammer (im Folgenden VK) Bund mit ihrer Entscheidung vom 04.03.2024 (VK 1-16/24) entgegen. Denn eine solche allgemeine Klausel werde durch die speziellen Ausführungen im Angebot verdrängt, mithin wirkungslos. Hierbei handle es sich um eine allgemeine Auslegungsregel, wonach die speziellere Norm immer der allgemeineren vorgehe. In diesem Fall sah die VK Bund auch keinen Raum für eine Aufklärung, da die Abweichung von den Vergabeunterlagen hier nur durch eine nachträgliche nicht statthafte Änderung des Angebots möglich sei.

In dem Fall, der der Entscheidung des BGH zugrunde lag, stellte sich die Situation nur marginal anders dar. Hier enthielten die Vergabeunterlagen selbst eine solche Abwehrklausel, sodass von einem Missverständnis und somit aufklärungsfähigen Widerspruch ausgegangen werden konnte.

Die Abgrenzung ist nicht einfach und nicht immer eindeutig. Der Ansatz des BGH wird seit der Entscheidung vielfach zitiert und im Einzelfall ausgelegt. So nahm beispielsweise die VK Bund in ihrer Entscheidung vom 23.07.2021 (VK 2-75/21) in dem Fall, in dem der vom Bieter kalkulierte Dienstplan nicht mit den Anforderungen der Vergabeunterlagen und dem vom Bieter unterzeichneten Vertrag übereinstimmte, hierauf Bezug. Sie führte aus, dass dieser Widerspruch gerade nicht zum Ausschluss führen dürfe, da Bietern, deren Angebote an formalen Mängeln leiden, die Aufklärung über den Inhalt des Angebots ermöglicht werden müsse. Dies gelte für all die Fälle, in denen ein Widerspruch ohne eine nachträgliche Angebotsänderung aufgeklärt werden kann.

    Für Bieter in einem Vergabeverfahren bedeutet das umso mehr, dass die Vorgaben der Vergabeunterlagen genau zu erfassen sind und das Angebot auf nicht erforderliches „mehr“ verzichten sollte.

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